Zum 70. Geburtstag von Josep Carreras

Zum 70. Geburtstag von Josep Carreras am 5. Dezember 2016

Josep Carreras wird 70

Anlässlich des 70. Geburtstages von Josep Carreras – besser bekannt als José Carreras – gibt es heute einen Sonderbeitrag, der dem Tenor und seinem Lebenswerk gewidmet ist.

Bereits gestern ging es im musikalischen Adventskalender um Katalonien und einige kuriose Weihnachtsbräuche. Das folgende Weihnachtslied stammt ebenfalls aus Katalonien und wird von José Carreras häufig in seinen Weihnachtskonzerten vorgetragen. Auch der Cellist Pablo Casals spielte es immer wieder in seinen Konzerten. Daher steht es am Anfang dieses Beitrages.

El Cant dels Ocells (Gesang der Vögel)

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Aus Gründen des Copyrights wurden hier nur die ersten 28 Takte der Gesangsstimme wiedergegeben. Die vollständige Ausgabe des Liedes ist im Band „The José Carreras Collection“, (C) by Wise Publications, London 1994, enthalten. Der Band ist über Music Sales Ltd., 8/9 Fifth Street, London W1V 5TZ, England, erhältlich.  

Auf YouTube ist eine schöne Aufnahme dieses katalanischen Weihnachtsliedes zu finden. Das Video dazu zeigt Stationen aus dem Leben des Tenors: 

Ein Audiomitschnitt des Liedes aus dem legendären Comeback-Konzert in Barcelona vom 21. Juli 1988 ist ebenfalls auf YouTube zu finden:

https://www.youtube.com/watch?v=d4DqRX1VXg4

Vom Konzert in Peralada am 13. August 1988 gibt es auf YouTube sogar ein schönes Video:  

https://www.youtube.com/watch?v=EbJphMBHIwA

Persönliche Begegnungen mit José Carreras

Gern teile ich an dieser Stelle meine persönlichen Erinnerungen an die vielen wunderbaren Abende, die ich selbst in all den Jahren mit José Carreras erleben durfte – und hoffentlich auch in Zukunft noch oft erleben werde.

Der Blitz hat eingeschlagen!

Es passierte etwa Ende der 70er oder Anfang der 80er Jahre, als ich anfing, mich für die Oper zu interessieren. An einem Sonntag sah ich im Fernsehen eine Übertragung der Oper La Bohème von Giacomo Puccini – mit Teresa Stratas als Mimí und José Carreras als Rudolfo. Zum ersten Mal hörte ich den Tenor José Carreras, den ich bis dahin noch gar nicht gekannt hatte. Auf Anhieb war ich von seiner Stimme und seiner Rollengestaltung begeistert. Einige Jahre später (ich glaube, es war im Sommer 1985) kam im Fernsehen eine Live-Sendung mit Hans Rosenthal. Soweit ich mich erinnere, war es eine Live-Übertragung von der Bundesgartenschau. Als Gast war José Carreras eingeladen (was ich vorher nicht einmal wusste). Ich befand mich damals gerade im zweiten Studienjahr meines Studiums am Wiesbadener Konservatorium und wohnte in einer kleinen Ein-Zimmer-Wohnung in Wiesbaden-Biebrich. Während ich gerade mit meiner Bügelwäsche beschäftigt war, lief in meinem Zimmer der kleine Fernseher. „Hänschen“ Rosenthal moderierte die Sendung wie immer in seiner sympathischen, humorvollen Art. Dann kam jener Moment, der von da an meinen musikalischen Werdegang entscheidend prägen sollte: Hans Rosenthal kündigte den Auftritt eines Tenors an, der bereits auf den großen Bühnen zu Hause sei und gerade bei den Salzburger Festspielen als Don José in der Oper Carmen Triumphe gefeiert habe. Es war José Carreras, er sang in dieser Sendung die berühmte „Blumen-Arie“ aus Carmen. Von Anfang an war ich berührt von dem schönen Klang, der musikalischen Phrasierung, seiner Piano- und Legato-Kultur und der wunderbaren Führung seiner Stimme. Als er dann auch noch am Schluss der Arie das hohe b in einem innigen Piano verklingen ließ, war das einer jener Momente, in denen man sprichwörtlich eine Gänsehaut bekommt!

Der Blitz hatte eingeschlagen! Von da an wurde José Carreras mein großes Idol. In den folgenden Jahren war ich jedoch mit meinem Cello-Studium so sehr eingespannt, dass ich leider nicht alle Auftritte meines Lieblingssängers im Fernsehen mitverfolgen konnte, zumal ich neben meinem Studium auch noch als freie Mitarbeiterin in einem Musikverlag tätig war. Teure Reisen zu Carreras-Auftritten waren damals finanziell ohnehin nicht möglich.

Krankheit und Genesung

Eines Tages – es muss im Spätsommer 1987 gewesen sein – erfuhr ich, dass der berühmte Tenor José Carreras an Leukämie erkrankt war. Die Nachricht über die schwere Erkrankung meines Lieblingssängers schockierte mich und erfüllte mich mit großer Sorge. Jedoch drangen die Informationen über seinen Zustand nur sehr spärlich bis zu mir durch, zumal ich seinerzeit gerade mit meinen Examensvorbereitungen mehr als ausgelastet war. Im Frühjahr 1988, als ich gerade mein Studium beendet hatte, kam endlich die erlösende Nachricht, dass José Carreras es wohl geschafft habe, dass es ihm endlich besser gehe und er von seiner Behandlung in Amerika nach Barcelona zurückgekehrt sei. Sämtliche Medien berichteten damals über die wunderbare Genesung des Sängers und sein großartiges Comeback in Barcelona im Juli 1988. Noch im selben Jahr gründete José Carreras seine Leukämie-Stiftung in Barcelona, die Fundación Internacional José Carreras para la lucha contra la Leucemia.

José Carreras’ Gesang, seine ganze Geschichte und sein unermüdlicher Einsatz für die Leukämie-Kranken haben mich so sehr berührt, dass ich ständig daran denken musste und fast nur noch davon sprach. Schon damals hat die Begegnung mit Josés Stimme und seiner Persönlichkeit entscheidend zu meinem Entschluss beigetragen, noch Gesang zu studieren, denn spätestens jetzt wurde mir klar, dass der klassische Gesang und die Oper eigentlich schon immer meine große Leidenschaft und Berufung gewesen waren. Durch die Lektüre der Autobiographie von José Carreras wurde diese Leidenschaft noch verstärkt: 1989 schenkte mir mein damaliger Partner (als Dank für meine Hilfe bei seiner Examensarbeit) das Buch „José Carreras – Singen mit der Seele“. Dieses Buch hat mich emotional so sehr berührt und gefesselt, dass ich es in einem Zuge durchlas; ich erinnere mich sogar, dass ich während der Lektüre einige Male erst um vier oder fünf Uhr morgens ins Bett gekommen bin!

Konzerterlebnisse

Von nun an ließ ich keine Gelegenheit aus, Josés Stimme zu hören, und besorgte mir alle wichtigen Aufnahmen, die es damals auf dem Markt gab (zunächst noch als Schallplatte, später auch auf CD). Ganz besonders berührte mich seine Interpretation der Misa criolla und Navidad nuestra von Ariel Ramirez – eine Aufnahme, die im Sommer 1987, unmittelbar vor seiner Krankheit, entstanden war.

Im Herbst 1989 erfuhr ich, dass eine Tournee mit José Carreras geplant sei, die ihn im Dezember 1989 auch nach Frankfurt führen würde. Auf dem Programm standen unter anderem die Misa criolla sowie einige Weihnachtslieder. Sofort rief ich bei der Alten Oper Frankfurt an und besorgte zwei Karten für mich und meinen damaligen Partner. Das Konzert in der Alten Oper Frankfurt wurde zu einem unvergesslichen Erlebnis. Carreras’ ausdrucksvolle Interpretation der Misa criolla hat mich berührt und fasziniert. Am Bühneneingang hatte ich damals sogar Gelegenheit, kurz mit ihm zu sprechen und ihm alles Gute zu wünschen.

Im November 1990 kam José Carreras abermals nach Frankfurt. Auf dem Programm standen diesmal Arien und Lieder mit Orchester. Da das erste Konzert im Nu ausverkauft war, wurden sogar zwei Konzerte angesetzt. Diesmal kam es sogar zu einem persönlichen Gespräch mit José Carreras hinter den Kulissen: Dank einer Geigerin des Orchesters gelang es mir, durch den Bühneneingang der Alten Oper in das Gebäude zu kommen. Ich nutzte die Gelegenheit, um mit José Carreras persönlich zu sprechen und ihm einen Scheck für seine Leukämie-Stiftung zu übergeben. Außerdem überreichte ich ihm ein selbst gebasteltes Geschenk (eine Flasche Wein, als Don José verkleidet). Über meine Spende und mein humorvolles Präsent zeigte er sich sichtlich erfreut. Durch diese kurze Begegnung muss er sich mein Gesicht wohl irgendwie eingeprägt haben, denn seitdem erkennt er mich immer und begrüßt mich sogar jedes Mal. Er scheint überhaupt ein erstaunliches Personengedächtnis zu haben.  

In den darauffolgenden Jahren fuhr ich, sooft es ging und es meine knappen Finanzen erlaubten, zu Auftritten meines Lieblingssängers. Auf den Reisen zu den Konzerten (damals noch von Wiesbaden, später von Kelsterbach bei Frankfurt aus) lernte ich auch interessante Städte kennen, in die ich sonst wohl nie gekommen wäre. Und ich lernte Italienisch und Spanisch!

Sternstunden in der Oper

Erst in den 1990er Jahren ergab es sich, dass ich José Carreras endlich auch in einigen seiner Opernrollen erleben konnte. Die Reisen nach Wien und die Vorstellungen in der Wiener Staatsoper waren jedes Mal ein unvergessliches Erlebnis. So hatte ich das Glück, José Carreras noch einmal als Rudolfo in La Bohème zu erleben, bevor er diese Rolle endgültig ablegte. Bei dieser Gelegenheit, im Juni 1993, lernte ich auch das bei Wiener Opernfreunden übliche Stehplatz-Abenteuer kennen: Ausgestattet mit einem Schlafsack, einem Picknick-Sackerl und einer Flasche Rotwein, verbrachte ich sogar eine Nacht unter den Arkaden der Wiener Staatsoper, um mich für einen der begehrten Stehplätze anzustellen – oder besser gesagt: anzulegen! Auch dieses kuriose Abenteuer gehört zu den lustigen Ereignissen, an die ich mich immer gern erinnern werde. Es folgten dann noch weitere Reisen nach Wien mit interessanten Opernvorstellungen: Fedora (1994), Hérodiade (1995), Jérusalem und Stiffelio (1996). Neben den Opernvorstellungen waren auch die Clubtreffen des Carreras Clubs Wien – mit José Carreras als Ehrengast – jedes Mal ein Erlebnis.

In Zürich durfte ich die Fedora (1994, seinerzeit sogar mit Mirella Freni als Josés Partnerin) und die Uraufführung der Oper Sly (1998) erleben. Im Sommer 1999 hatte ich bei den Opernfestspielen in Verona endlich das Glück, José Carreras in einer seiner Paraderollen zu erleben: als Don José in Carmen! Wie lange hatte ich doch auf diese einmalige Gelegenheit warten müssen! (Denn die für 1997 angesetzten Carmen-Vorstellungen in Verona hatte José Carreras leider wegen einer Grippe absagen müssen.)

Festivals & Premieren

Zu einem besonderen Höhepunkt wurde die Reise nach Barcelona im Juli 1998 zu einem Open-Air-Konzert, das anlässlich des 10jährigen Bestehens der spanischen José Carreras Leukämie-Stiftung organisiert wurde. Die einzigartige Stimmung dieser Sommernacht in der katalanischen Hauptstadt werde ich nie vergessen! Das Wetter war traumhaft, die Katalanen und die angereisten Carreras-Fans waren in Volksfeststimmung! Unvergesslich war auch Josés Aufführung der Misa criolla im Rahmen des „festival del mil.leni“ im Palau de la música catalana, im Januar 2000.

Im Februar 2004 führten mich meine Reisen abermals nach Wien, wo es ein besonderes Ereignis zu feiern gab: das 30jährige Bühnenjubiläum von José Carreras an der Wiener Staatsoper. Die Gala-Vorstellung mit Liedern von Tosti, Leoncavallo und Puccini, dem 3. Akt aus der Oper Sly von Ermanno Wolf-Ferrari und dem 4. Akt aus Bizets Carmen wurde zu einem großen Erfolg für den in Wien so beliebten Tenor, der auch an diesem Abend wieder mit standing ovations gefeiert wurde.

Ein weiterer Höhepunkt war die Matinee am 15. September 2013 in der Wiener Staatsoper, welche im Vorfeld seines 40jährigen Bühnenjubiläums an der Staatsoper veranstaltet wurde. Der Erlös der Matinee, in der neben José Carreras auch einige Sänger und Sängerinnen des Solistenensembles der Wiener Staatsoper auftraten, ging auch diesmal wieder an die Carreras Leukämie Stiftung.   

Allen Unkenrufen zum Trotz durften wir José Carreras kürzlich sogar noch einmal auf der Opernbühne erleben: In der Oper El Juez (Der Richter) von Christian Kolonovits sang er die Titelpartie des Richters. Nach der erfolgreichen Uraufführung in Bilbao und weiteren Aufführungen in St. Petersburg und Erl (Tirol) kam das Werk im Juli 2016 auch im Theater an der Wien auf die Bühne und wurde für alle Mitwirkenden zu einem großen Erfolg.

Ein besonderes Erlebnis

Eine der aufregendsten Begegnungen mit José Carreras hatte ich jedoch im Mai 2005: Der Carreras Club Wien veranstaltete anlässlich seines 20-jährigen Bestehens ein großes Clubtreffen mit José Carreras als Gast. Zusammen mit dem Salonmusikensemble Wiener Capriolen, in welchem ich damals als Sängerin und Cellistin mitwirkte, war ich eingeladen, diese Veranstaltung musikalisch zu umrahmen. Wir spielten typische Wiener Musik der Strauss-Dynastie, neben anderen Komponisten vor allem Werke von Josef und Johann Strauss. Und am Schluss unserer Darbietung durfte ich meinem Idol und Vorbild Josep Carreras sogar noch ein Ständchen singen: Ich gab das Lied Wien, du Stadt meiner Träume (Wien, Wien, nur du allein) zum Besten, jedoch nicht mit dem Originaltext, sondern mit einem von mir selbst gedichteten Text, welcher ganz auf José Carreras abgestimmt war. Noch heute wundere ich mich über mich selbst, dass ich mir das damals überhaupt getraut habe! Es war wohl das aufregendste Erlebnis, das ich je mit José Carreras hatte.

Ich könnte an dieser Stelle noch weitere Erlebnisse aufzählen, doch das würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

Die Begegnungen mit José Carreras und seiner wunderbaren Stimme haben wesentlich zu meinem Entschluss beigetragen, nach dem Cello-Studium noch eine Gesangsausbildung zu beginnen und einige Jahre später sogar noch ein Gesangsstudium der Fachrichtung Opernrepertoire in Wien zu absolvieren. Am Ende meines Studiums konnte ich – nach vielen Entbehrungen, Höhen und Tiefen – sogar noch ein staatlich anerkanntes Diplom im Fach Opernrepertoire erwerben! Wie heißt es doch so schön: Besser spät als nie!

Ich möchte diese Gelegenheit benutzen, meinem großen Vorbild José Carreras die herzlichsten Glückwünsche zu seinem 70. Geburtstag zu übermitteln und ihm für die weitere Zukunft alles Gute zu wünschen. Und mit diesen Wünschen möchte ich diesen ellenlangen Artikel nun endlich schließen!

Weitere Literatur

  • José Carreras: Singen mit der Seele, Kindler Verlag GmbH, München 1989
  • José Carreras mit Márius Carol: Aus vollem Herzen – Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik – Aus dem Spanischen von Karl A. Klewer, Siedler Verlag, München 2011
  • Josep Carreras – Ein Leben für die Musik: Ein Beitrag von Sylvia Kreye zum 70. Geburtstag von José Carreras, meinbezirk.at: http://www.meinbezirk.at/meidling/leute/ein-leben-fuer-die-musik-d1956839.html