José Carreras zum 75. Geburtstag am 5. Dezember 2021

José Carreras zum 75. Geburtstag

Ein Leben für die Musik

Am 5. Dezember 2021 begeht der Tenor Josep Carreras seinen 75. Geburtstag. Dies möchte ich zum Anlass nehmen, um dem Sänger einen ausführlichen Beitrag zu widmen. Das ist auch eine gute Gelegenheit, jenen Artikel, den ich vor 5 Jahren zum 70. Geburtstag des Tenors auf meinbezirk.at veröffentlicht habe, nochmals zu überarbeiten und auf Lingua & Musica zu publizieren. 

Kindheit und Debüt mit elf Jahren

José Carreras, mit bürgerlichem Namen Josep Maria Carreras-Coll, wurde am 5. Dezember 1946 in Barcelona, im Stadtviertel Sants, als drittes Kind von José Carreras-Soler und Antonia Coll-Saigi, geboren. Es war die Zeit der Franco-Diktatur. Zur Zeit Francos war die katalanische Sprache verboten – die offizielle Staatssprache war Kastilisch. Dies war auch der Grund, warum José Carreras seinen katalanischen Vornamen „Josep“ offiziell nicht führen durfte.
Nachdem Carreras’ Vater im spanischen Bürgerkrieg an der Seite der Republikaner gegen das Franco-Regime gekämpft hatte, bekam auch die Familie Carreras die Repressalien des Regimes zu spüren. Josés Vater, José Carreras-Soler, durfte nach dem Bürgerkrieg seinen Beruf als Französischlehrer nicht mehr ausüben und arbeitete von nun an als Verkehrspolizist bei der „Guardia Urban“. Wegen der wirtschaftlichen und politischen Situation beschloss die Familie Carreras im Herbst 1951 (der kleine José war damals nicht einmal fünf Jahre alt), nach Argentinien auszuwandern. Jedoch kehrte die Familie schon nach elf Monaten wieder nach Katalonien zurück, denn auch in Argentinien war keine Besserung der Lebensumstände zu erwarten.

Wieder daheim in Barcelona, nahm der Vater seine Arbeit als Verkehrspolizist wieder auf. Die Mutter, Antonia Coll-Saigi, führte einen kleinen Friseursalon. Ein Kinobesuch der Familie Carreras sollte schon bald zu einem besonderen Erlebnis werden: Als eines Tages im Kino der Film Der große Caruso mit Mario Lanza gespielt wurde, änderte sich das Leben des kleinen Josep schlagartig. Von nun an schmetterte der knapp sechsjährige Josep alle Arien, die er im Film gehört hatte, nach. Tagaus, tagein sang er zu Hause die Arien rauf und runter. Sein Favorit war die Arie des Herzogs aus der Oper Rigoletto von Giuseppe Verdi – was ihm in der Schule schon bald den Spitznamen Rigoletto einbrachte! Er sang und sang; seine Eltern und Geschwister trugen es mit Geduld und Fassung! – „Can you imagine my poor family“, sagte José Carreras selbst einmal humorvoll in einem Interview!

Ansonsten jedoch verlief das Leben des kleinen Josep völlig normal. Er ging zur Schule wie alle anderen Jungen seines Alters, spielte Fußball und Handball, vor allem aber Basketball. Bald darauf erhielt der kleine Josep seinen ersten Musikunterricht bei Magda Prunera, einer Freundin seiner Mutter, im „Orfeon de Sants“, der örtlichen Musikschule. Schon nach einem Jahr konnte er an das städtische Konservatorium der Stadt Barcelona wechseln. Sein erster Opernbesuch im Teatro del Liceo von Barcelona wurde für den achtjährigen Josep zu einem unvergesslichen Erlebnis. Schon bald darauf – es war in der Weihnachtszeit – trat der Achtjährige in einer Benefizsendung des Radio Nacional d’Espana auf. Er sang ein katalanisches Weihnachtslied und – wie könnte es anders sein – die Arie des Herzogs aus Rigoletto: La donna è mobile! Am 3. Januar 1958 – mit gerade einmal 11 Jahren – trat Josep Carreras zum ersten Mal im Teatro del Liceo auf: In der Oper El Retablo del Maese Pedro von Manuel de Falla sang er die Knabenrolle. Der Pianist und Dirigent José Iturbi dirigierte die Vorstellung. Der Auftritt wurde für den Elfjährigen zu einem großen Erfolg. Für die Saison 1959/60 erhielt Josep ein weiteres Angebot des Liceo: Als nächstes sollte er den Hänsel in Humperdincks Märchenoper Hänsel und Gretel singen, jedoch machte der Stimmbruch ihm einen Strich durch die Rechnung. Mit dem Gesang musste er nun eine Weile pausieren. Während dieser Zeit besuchte er jedoch regelmäßig Opernvorstellungen im Teatre del Liceo.

Die Ausbildung

Im Jahre 1964 begann José Carreras mit der Gesangsausbildung, zunächst bei Francisco Puig – jenem Gesangslehrer, der auch seinen Landsmann Jaime (Giacomo) Aragall unterrichtet hatte.

Im Herbst 1965 – nur ein Jahr, nachdem José Carreras sein Gesangsstudium aufgenommen hatte, erkrankte seine Mutter an Krebs und starb im Alter von nur 51 Jahren. Der damals 18jährige José hat sehr unter diesem Verlust gelitten und diesen Schicksalsschlag lange Zeit nicht überwunden.

Nach dem Tod seiner Mutter nahm José Carreras zunächst ein Chemie-Studium an der Universität von Barcelona auf, da sein Bruder und sein Schwager gerade dabei waren, eine Kosmetikfirma aufzubauen. Neben dem Studium nahm er weiterhin Gesangsunterricht und half im Betrieb seines Bruders und Schwagers. Nach dem Studienjahr 1967/68 jedoch entschied sich José Carreras endgültig für die Welt der Oper und gab das Chemie-Studium auf. – Da kommt unwillkürlich die Frage auf: Was wäre wohl aus Carreras geworden, wenn er nicht Sänger geworden wäre und das Chemie-Studium fortgesetzt hätte? Nicht auszudenken!

Nachdem José Carreras etwa drei Jahre lang bei Francisco Puig studiert hatte, spürte er, dass er etwas brauchte, was ihm Maestro Puig nicht geben konnte. In dieser Zeit lernte er Juan Ruax kennen, einen Mann mit einer schönen Tenorstimme, der jedoch nach einer Kinderlähmung an den Rollstuhl gefesselt war. Juan Ruax war von Beruf Zahntechniker und widmete sich der Ausbildung des jungen Tenors mit großem Einsatz. Er hatte einen untrüglichen Instinkt für die Stimme seines Schützlings und wusste genau, was dieser gerade brauchte. José Carreras über seinen Lehrer Juan Ruax: „Das Faszinierende an dem Unterricht bei ihm war, dass er mehr mit mir über das Singen sprach, als dass er mit mir das Singen übte. Es war auch so, dass er weniger versuchte, mir beizubringen, wie man singen muss, sondern wesentlich mehr darüber sprach, wie man es n i c h t tun soll. Er war immer bemüht, meinen natürlichen Instinkt für das Singen und mein Talent weiterzuentwickeln. Natürlich korrigierte er mich, wenn ich etwas falsch machte. […] Sein Grundsatz lautete: Folge dem, was deine Intuition dir sagt, und opfere niemals einen Ausdruck, einen Akzent oder eine Note der Technik. Er war das klassische Gegenbeispiel zu jenen sturen Gesangslehrern, die ihren Schützlingen eine bestimmte Methode aufzwingen.“

Debüt im Liceo

Im Frühjahr 1969 ging José Carreras – ermuntert durch seinen Lehrer Juan Ruax – zu einem Vorsingen ins Teatro del Liceo in Barcelona. Der damalige Direktor Juan Antonio Pamias war von seinem Vortrag so angetan, dass er ihm gleich die Rolle des Flavio in Bellinis Norma anbot. Die Premiere im Januar 1970 – an der Seite der großen Sopranistin Montserrat Caballé – wurde nicht nur für die Stars der Aufführung, sondern auch für José Carreras zu einem großen Erfolg. Montserrat Caballé war von der Stimme des jungen Tenors so begeistert, dass sie ihn fortan förderte. So sang José Carreras noch im selben Jahr seine erste Hauptrolle im Teatro del Liceo: den Gennaro in Donizettis Lucrezia Borgia. Die Premiere von Lucrezia Borgia im Dezember 1970 betrachtet Carreras als sein eigentliches Debüt.

Carlos Caballé, der Bruder und Manager von Montserrat Caballé, dem José Carreras bereits während seines Studiums begegnet war, wurde schließlich auch Carreras’ Manager und Impresario.

Wenig später erhielt José Carreras auch die Tenorrolle in Verdis Nabucco. Regisseur de Giuseppe Tomasi war es auch, der den jungen Tenor animierte, am Verdi-Gesangswettbewerb in Parma teilzunehmen, den Carreras im Oktober 1971 gewann. Anlässlich des Wettbewerbs in Parma traf José Carreras zum ersten Mal mit seinem großen Vorbild Guiseppe di Stefano – genannt Pippo – zusammen. „Wie alle anderen, war auch ich sehr aufgeregt und zitterte wie ein Pudding, als der große Pippo vor mir stand“, erinnert sich Carreras an diese Begegnung.

Auf den Opernbühnen der Welt

Von da an war die steile Karriere des jungen Carreras nicht mehr aufzuhalten. Engagements an allen großen Opernhäusern folgten: Von der New York City Opera in New York ging es im Januar 1974 nach Wien, wo ihm während seines Debuts in Verdis Rigoletto ein Malheur passierte: Ausgerechnet am Ende der berühmten Arie La donna è mobile – jener Glanznummer, die er zuvor tausendmal gesungen hatte – blieb ihm die Stimme weg. Obwohl Carreras wegen dieses Missgeschicks für mehrere Jahre einen großen Bogen um Wien machte, hatte ihn das Wiener Publikum bereits ins Herz geschlossen.

Von Wien aus führte der Weg des jungen Sängers über London, Wien, München und New York nach Mailand – dem „Mekka“ für Opernsänger. In Mailand traf Carreras erneut mit seinem Vorbild Giuseppe di Stefano zusammen. Während der Proben zur Premiere der Verdi-Oper Un ballo in maschera kam es damals zu einer lustigen Begebenheit: Weil das Kostüm für den schlanken José Carreras zu groß war, verehrte ihm der große „Pippo“ sein Ballo-Kostüm – eine Anekdote, die sich in Mailand schnell herumsprach.

Das Scala-Debüt im Februar 1975 wurde für Carreras zu einem triumphalen Erfolg. Kurz darauf wurde auch der große Herbert von Karajan auf den jungen Sänger aufmerksam, der ihn im April 1976 für Verdis Messa da Requiem im Rahmen der Salzburger Osterfestspiele engagierte. Noch im selben Jahr vertraute ihm Herbert von Karajan für die Salzburger Festspiele die Titelpartie in Verdis Don Carlos an. Die Zusammenarbeit mit Herbert von Karajan und die Salzburger Festspiele waren für José Carreras, wie er selbst einmal in einem Interview sagte, der absolute Höhepunkt seiner Karriere. Weitere große Projekte mit Herbert von Karajan folgten: La Bohème an der Wiener Staatsoper (1977), Aida (Salzburger Festspiele 1979 und 1980), Don Carlos (Salzburger Festspiele 1977 und 1978, Wiener Staatsoper 1979 und 1980, Osterfestspiele 1986). Ein weiterer Höhepunkt in der Zusammenarbeit mit Karajan war die Carmen (Salzburger Festspiele 1985) – mit jenem legendären hohen b im pianissimo am Ende der Blumen-Arie, das bei mir während einer Fernsehsendung im Sommer 1985 eine Gänsehaut erzeugt hatte! Es ist diese unvergleichliche Piano-Kultur, mit der José Carreras Maßstäbe gesetzt hat und seine Fans auf der ganzen Welt immer wieder begeistert.

Im Laufe seiner Karriere hat José Carreras mit allen namhaften Dirigenten zusammengearbeitet, darunter Carlo Maria Giulini, Claudio Abbado, Riccardo Muti (um nur einige zu nennen) – und natürlich Herbert von Karajan. Unter der Leitung von Leonard Bernstein persönlich entstand auch die berühmte Einspielung des Musicals Westside Story.

Die Leukämie-Erkrankung

Das Jahr 1987 sollte für José Carreras zu einem schweren Schicksalsjahr werden. Noch im Frühjahr 1987 war der Tenor an der Mailänder Scala als Canio in der Oper I Pagliacci erfolgreich aufgetreten – ohne zu wissen, dass dies vorläufig sein letzter Opernauftritt sein sollte. Anfang Juli hatte Carreras seine Schallplattenaufnahme der Misa criolla unter der Leitung des Komponisten Ariel Ramirez eingespielt. Am 5. Juli fand – ohne dass er es ahnen konnte – sein vorläufig letztes Konzert in Oviedo statt. Bereits am nächsten Morgen begannen in Paris die Dreharbeiten zu einem Bohème-Film mit dem italienischen Regisseur Luigi Comencini, mit Carreras als Rudolfo. Während der Dreharbeiten machte José Carreras eine Zahnentzündung zu schaffen. Trotz der Antibiotika, die er dagegen einnahm, fühlte er sich von Tag zu Tag schlechter. Nach einem Check-up im Amerikanischen Hospital von Paris erhielt er schließlich die niederschmetternde Diagnose: Leukämie. Es folgte eine monatelange Behandlung mit Chemotherapie, Strahlenbehandlung und allen erdenklichen Nebenwirkungen.

Um nahe bei der Familie zu sein, unterzog sich Carreras der Behandlung zunächst in Barcelona. Im Herbst 1987 begab er sich zur weiteren Behandlung nach Seattle ins Fred Hutchinson Cancer Research Center. Da kein geeigneter Knochenmarkspender gefunden wurde, konnte nur eine autologe Knochenmarktransplantation (vom eigenen Knochenmark) das Leben des Sängers retten. Diese wurde – nach einer erneuten quälenden Phase mit Knochenmarkentnahme, Chemotherapie und Bestrahlung – im November 1987 vorgenommen. Bei aller Tragik gibt es auch eine kuriose Anekdote aus der Zeit in Seattle, die immer wieder gern erzählt wird: Da es im Bestrahlungsraum keine Uhr gab, auf der er die dahinkriechenden Minuten hätte verfolgen können, repetierte Carreras gedanklich Opernarien. So wusste er immer, wann etwa die Bestrahlungszeit vorüber sein musste!

Die Nachricht von Carreras’ Leukämie-Erkrankung löste bei Fans in aller Welt eine Schockstarre aus. Überwältigend war die Anteilnahme, die dem Sänger entgegengebracht wurde. Aus allen Teilen der Welt erhielt er Genesungswünsche. Schon während dieser Zeit in Seattle reifte in ihm der Plan, eine Stiftung für Leukämiekranke zu gründen. Und eines wusste er ganz sicher: Er wollte nicht nur wieder gesund werden, sondern auch wieder singen! Im Februar 1988 wurde Carreras aus dem Krankenhaus in Seattle entlassen und durfte endlich in seine Heimatstadt Barcelona zurückkehren.

Das große Comeback

Das Jahr 1988 war für José Carreras in jeder Hinsicht ein bedeutendes Jahr. Im Sommer standen gleich zwei große Ereignisse an: das große Comeback-Konzert unter dem Arc de Triomf in Barcelona und die Gründung der Fundación Internacional para la lucha contra la Leucemia, der Internationalen José Carreras Leukämie Stifung.

Schon Anfang März 1988, nur wenige Tage nach seiner Rückkehr aus Seattle, begann er heimlich, Stimmübungen zu machen – sehr zum Leidwesen seines damaligen Arztes in Barcelona, der ihn eindringlich ermahnte, das Singen vorläufig noch zu unterlassen und geduldiger zu sein. Doch Carreras’ Zustand besserte sich von Tag zu Tag, und allmählich konnte er auch mit der Vorbereitung zu seinem Comeback beginnen.

Am 21. Juli 1988 war es endlich soweit: Zum ersten Mal nach seiner schweren Erkrankung konnte José Carreras wieder auftreten. Sein legendäres Comeback-Konzert unter dem Arc de Triomf in seiner Heimatstadt Barcelona ist wohl schon in die Geschichte eingegangen.

Am 8. August 1988 präsentierte José Carreras in der Arena di Verona die Grande notte di Verona, wo er neben vielen Sängerkollegen auftrat und sich mit dem berühmten Granada beim italienischen Publikum zurückmeldete.

Die Erlöse aus den Konzerten in Barcelona und Verona kamen sogleich der neu gegründeten José Carreras Leukämie-Stiftung zugute.

75. Geburtstag José Carreras - Salzburg, 30.08.2012
José Carreras und Pianist Lorenzo Bavaj bei einem Liederabend in Salzburg, 30.08.2012 – Foto: Sylvia Kreye

Die zweite Karriere des Tenors

Neben seinem unermüdlichen Einsatz im Kampf gegen Leukämie ist das Singen natürlich nach wie vor der Lebensinhalt von José Carreras.

Nachdem seine Stimme im Laufe der Jahre dunkler und schwerer geworden ist (was übrigens bei Opernsängern eine ganz normale Entwicklung ist), wechselte Carreras bereits in den 80er Jahren ins sogenannte „Spinto“-Fach („spinto“ kommt vom italienischen Wort „spingere“ – stoßen und bezeichnet das lyrisch-dramatische Zwischenfach mit seinen dramatischen Akzenten).

Bereits in den 80er und 90er Jahren übernahm Carreras anspruchsvolle Spinto-Partien von Giuseppe Verdi, Giacomo Puccini, Jules Massenet, Georges Bizet und diversen Komponisten des italienischen Verismo. Der Don José in Bizets Oper Carmen war eine seiner besten Rollen. In den 90er Jahren feierte José Carreras unter anderem in den Verdi-Opern Stiffelio und Jérusalem, als Loris Ipanoff in Fedora von Umberto Giordano, als Jean in Hérodiade von Jules Massenet und als Samson in der Oper Samson e Dalila von Saint-Saëns (unter anderem in Wien, London und Barcelona) große Erfolge.

75. Geburtstag José Carreras - Wiener Staatsoper, 15.09.2013
José Carreras und Operndirektor Dominique Meyer bei der Matinee in der Wiener Staatsoper, 15.09.2013 – Foto: Sylvia Kreye

Auch auf dem Gebiet der zeitgenössischen Oper leistete Carreras einen wichtigen Beitrag für die Opernwelt: 1989 stand er in Barcelona (erstmals nach seiner Krankheit) in der Oper Cristobal Colón von Leonardo Balada auf der Bühne des Liceo. Im Jahre 1998 fanden die Aufführungen der Oper Sly von Ermanno Wolf-Ferrari in Zürich große Beachtung. Die Oper wurde im Jahre 2000 auch in Barcelona aufgeführt. Nach mehrjähriger Abstinenz von der Opernbühne folgte im Jahre 2014 die Uraufführung der Oper El Juez von Christian Kolonovits in Bilbao. Das Werk wurde inzwischen auch in St. Petersburg, im Rahmen der Tiroler Festspiele Erl (August 2014) sowie im Theater an der Wien (Juli 2016) erfolgreich aufgeführt.

José Carreras zum 75. Geburtstag
José Carreras und die Mitwirkenden der Aufführung der Oper EL JUEZ von Christian Kolonovits, Erl, 09.08.2014 – Foto: Sylvia Kreye

Ausgerechnet mit den dramatischeren Partien konnte José Carreras seine größten Erfolge feiern und strafte sämtliche Kritiker Lügen, die ihm bereits das Ende seiner Karriere vorausgesagt hatten!

Im Laufe seiner langen Karriere hat José Carreras zahlreiche Opernpartien gesungen und unzählige Liederabende gegeben. Sein Repertoire umfasst inzwischen mehr als 60 Opernpartien und schätzungsweise mehrere Hundert Lieder. In all den Jahren seiner erfolgreichen Karriere wurden dem Tenor zahlreiche Auszeichnungen verliehen. All seine Erfolge und Auszeichnungen aufzuzählen, würde jedoch den Rahmen dieses Artikels sprengen.

75. Geburtstag José Carreras - PK Theater an der Wien, 22.09.2015
José Carreras und Komponist Christian Kolonovits bei einer Pressekonferenz zur Oper EL JUEZ, Theater an der Wien, 22.09.2015 – Foto: Sylvia Kreye

Die drei Tenöre

Eines sollte an dieser Stelle nicht vergessen werden: die Konzerte der drei Tenöre. Zusammen mit seinen beiden Tenor-Kollegen Luciano Pavarotti und Placido Domingo konnte José Carreras in den 90er Jahren ganze Fußball-Stadien füllen. Das legendäre Konzert in den Caracalla-Thermen von Rom, das die drei Tenöre am 7. Juli 1990 im Rahmen der Fußball-Weltmeisterschaft in Italien präsentierten, ist inzwischen in die Geschichte eingegangen und bildete den Auftakt einer ganzen Serie von Konzerten, welche die drei Tenöre um den gesamten Erdball führte. Im Rahmen der Fußball-Weltmeisterschaften waren die Konzerte der drei Tenöre und Fußballfans Carreras-Domingo-Pavarotti beinahe schon zu einer Tradition geworden. Besonders spektakulär waren – neben dem Rom-Konzert – auch die Konzerte in Los Angeles (1994) und Paris (1998). Mit dem Tod Pavarottis im Jahre 2007 waren leider auch die Konzerte der drei Tenöre beendet. Verständlicherweise wollten Carreras und Domingo dieses Projekt danach nicht mehr weiterführen, denn Luciano Pavarotti – so waren sich beide einig – ist nun einmal nicht zu ersetzen.

Die Internationale José Carreras Leukämie-Stiftung

Bereits kurz nach seiner Erkrankung gründete José Carreras in Barcelona die Internationale José Carreras Leukämie Stiftung. Schon im Sommer 1988 konnte der Sänger (aus dem Erlös der beiden Konzerte in Barcelona und Verona sowie weiterer Veranstaltungen) ansehnliche Spenden für seine neu gegründete Leukämie-Stiftung sammeln. Die Arbeit für die Leukämie-Stiftung ist für José Carreras – neben dem Singen – zu einem wichtigen Lebensinhalt geworden. Dank seines unermüdlichen Einsatzes und mit Hilfe der Spendengelder konnte José Carreras in all den Jahren seit der Gründung der Leukämie-Stiftung zahlreiche Forschungsprojekte realisieren, unter anderem die spanische Knochenspender-Datenbank REDMO (Registro de Donantes de Médula Ósea). Außerdem konnten viele Kliniken (darunter die Universitätskliniken in Barcelona, Leipzig, Berlin und München) mit Transplantationseinheiten ausgestattet werden.

Auch in den USA, in Deutschland und Japan gründete Carreras Stiftungen, die allesamt klar definiertes Ziel verfolgen:

„Leukämie muss heilbar werden – immer und bei jedem.“

Im deutschen Fernsehen gibt es alljährlich die große Carreras-Gala, bei der die Zuschauer anrufen und spenden können.

Die diesjährige Carreras-Gala findet am 16. Dezember 2021 statt und wird live im MDR aus Leipzig übertragen.

75. Geburtstag José Carreras - Konzerthaus Wien, 22.03.2017
José Carreras mit Valentina Nafornita & Lena Belkina, Wiener Konzerthaus, 22.03.2017 – Foto: Sylvia Kreye

75 Jahre José Carreras – a Live in Music

José Carreras hat sein Leben stets der Musik gewidmet. A Live in Music ist auch der sprichwörtliche Titel seiner sogenannten „Abschiedstournee“, die ihn noch einmal durch alle Städte führen soll, in denen er als Tenor große Erfolge feiern konnte. Von seinem Wiener Publikum hat José Carreras sich mit einem Gala-Abend an der Wiener Staatsoper am 14. September 2021 verabschiedet. In anderen Städten wird er aber noch auftreten, wenn auch nicht mehr auf der Opernbühne, dafür aber mit seinen erlesenen Liedprogrammen.

Wie er bereits verlauten ließ, gibt es für seinen endgültigen Abschied von der Bühne nach wie vor keine Deadline. Er kann’s einfach nicht lassen – und das ist gut so! (Ich erinnere mich noch, dass José Carreras kurz nach seinem Comeback einmal sagte, er glaube, dass mit 53 Jahren ein guter Zeitpunkt sei, sich von der Bühne zu verabschieden – und wie viele Jahre sind seitdem schon vergangen!)

Allen Unkenrufen zum Trotz: Die lange und erfolgreiche Karriere des José Carreras, eines der größten Tenöre unserer Zeit, ist noch immer nicht zu Ende! Auch wenn viele von Ihnen, werte Kritiker, ihm schon vor vielen Jahren das Ende seiner Karriere prophezeit haben: Er ist immer noch da! Wie sich Menschen doch irren können! Es bleibt daher zu hoffen, dass wir ihn noch einige Male bei Liederabenden auf der Bühne erleben werden!

Ich möchte diese Gelegenheit benutzen, meinem großen Vorbild José Carreras die herzlichsten Glückwünsche zu seinem 75. Geburtstag zu übermitteln und ihm für die weitere Zukunft alles Gute und viel Gesundheit zu wünschen. Mit diesen Wünschen möchte ich diesen ausführlichen Artikel schließen.

75. Geburtstag José Carreras - Abschiedsgala, Wiener Staatsoper
José Carreras bei seiner Abschiedsgala in der Wiener Staatsoper, 14.09.2021 – Foto: Sylvia Kreye

Meine persönlichen Erinnerungen und Begegnungen mit KS José Carreras sind in einem separaten Artikel zum 70. Geburtstag des Tenors am 5. Dezember 2016 auf der Homepage von Lingua & Musica veröffentlicht:

https://linguamusica.eu/zum-70-geburtstag-von-josep-carreras/

Quellen zum Artikel

José Carreras, Singen mit der Seele, Kindler-Verlag, München 1989

José Carreras & Màrius Carol, Aus vollem Herzen, Aus dem Spanischen von Karl A. Klewer, Siedler-Verlag, München 2011

Artikel von Sylvia Kreye, erschienen am 5. Dezember 2016 auf meinbezirk.at:

https://www.meinbezirk.at/meidling/c-leute/ein-leben-fuer-die-musik_a1956839

Abschiedsgala JOSÉ CARRERAS in der Wiener Staatsoper

Abschiedsgala JOSÉ CARRERAS

Wiener Staatsoper, 14. September 2021

KS José Carreras verabschiedet sich vom Wiener Publikum

Mit einer Abschiedsgala, einem feinen Liederabend in der Wiener Staatsoper, verabschiedete sich KS José Carreras von seinem Wiener Publikum. Seine Gage spendete der Tenor CAPE 10, einer gemeinnützigen Stiftung mit Sitz in Wien. Mit von der Partie waren die bekannte lettische Mezzosopranistin Elīna Garanča sowie zwei junge Mitglieder des Opernstudios der Wiener Staatsoper: die Sopranistin Johanna Wallroth und der Bariton Michael Arivony. Begleitet wurden die Sänger von Lorenzo Bavaj am Flügel sowie vom Kallisto-Quartett. Einer der ganz Großen der Oper sagte „Danke und Adieu“. Es war ein bewegender, emotionaler Abend.

José Carreras & die Wiener Staatsoper – eine besondere Beziehung

An der Wiener Staatsoper ist José Carreras mehr als 140 Male in den bedeutendsten Opernpartien der Musikgeschichte aufgetreten. Mehr als 20 Jahre lang hat er das „Haus am Ring“, wie die Wiener Staatsoper auch genannt wird, geprägt. Mit seinen Interpretationen des lyrisch-dramatischen Fachs hat der ausdrucksstarke Tenor Maßstäbe gesetzt. José Carreras war und ist ein tenore lirico-spinto, wie dieses Stimmfach auf Italienisch genannt wird. Es ist die korrekte Bezeichnung für das lyrisch-dramatische Zwischenfach, für jenen Stimmtypus, der auf Deutsch (nicht ganz passend) als jugendlicher Heldentenor bezeichnet wird. Dementsprechend (und ebenso unpassend) spricht man im Sopranfach vom jugendlich-dramatischen Sopran.

Man bedenke: Jene Sänger*innen, welche das lyrisch-dramatische Zwischenfach überzeugend gestalten können, sind im Allgemeinen nicht mehr „jugendlich“, sondern haben in der Regel bereits ein Alter erreicht, in dem die Stimme die nötige Reife und auch jenes dunklere Timbre aufweist, welches für die lyrisch-dramatischen Rollen charakteristisch und auch erforderlich ist, um diese schwereren Partien stimmlich überhaupt durchhalten zu können. Eine wirklich „jugendliche“ Stimme dürfte da wohl sehr schnell an Grenzen stoßen. Dies nur zur Erläuterung, warum ich die Begriffe jugendlicher Heldentenor oder jugendlich-dramatischer Sopran generell unpassend finde und die Bezeichnung lyrisch-dramatisch als Übersetzung des italienischen Begriffs lirico-spinto bevorzuge. Soweit zum Thema Stimmfach.

José Carreras hat in seiner langen Karriere alle bedeutenden Opernpartien des italienischen und französischen lyrisch-dramatischen Fachs gesungen. Alle davon aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Doch jene Partien, mit denen Carreras an der Wiener Staatsoper brillierte, sollen an dieser Stelle genannt werden.

Rollendebüts an der Wiener Staatsoper (chronologisch):

Komponist  Oper  Rolle  Debüt
Giuseppe Verdi Rigoletto Herzog von Mantua 1974
Giacomo Puccini Tosca Cavaradossi 1977
Giacomo Puccini La Bohème Rodolfo 1977
Gaetano Donizetti Lucia di Lammermoor Edgardo 1978
Giuseppe Verdi Don Carlo Don Carlo 1979
Giuseppe Verdi Un ballo in maschera Gustav III. 1980
Giuseppe Verdi La forza del destino Alvaro 1980
Giuseppe Verdi La Traviata Alfredo Germont 1980
Jacques Fr. Halévy La Juive Éléazar 1981
Gaetano Donizetti L’elisir d’amore Nemorino 1982
Umberto Giordano Andrea Chénier Andrea Chénier 1982
Giuseppe Verdi Luisa Miller Rodolfo 1983
Giacomo Puccini Turandot Kalaf 1983
Giuseppe Verdi Simone Boccanegra Gabriele Adorno 1984
Georges Bizet Carmen Don José 1984
Jules Massenet Werther Werther 1986
Ruggero Leoncavallo Pagliacci Canio 1991
Camille Saint-Saëns Samson et Dalila Samson 1994
Umberto Giordano Fedora Loris Ipanov 1994
Jules Massenet Hérodiade Jean 1995
Giuseppe Verdi Jérusalem Gaston 1995
Giuseppe Verdi Stiffelio Stiffelio 1996
Ermanno Wolf-Ferrari Sly (nur 3. Akt) Sly 2004

Sein Operndebüt an der Wiener Staatsoper gab José Carreras am 28. Januar 1974 als Herzog von Mantua in der Oper „Rigoletto“ von Giuseppe Verdi. Aufgrund einer Indisposition verlief dieses Wiener Debüt für den jungen Tenor leider nicht zu seiner Zufriedenheit. Doch dafür hatte das fachkundige, musikbegeisterte Wiener Opernpublikum Verständnis. Dank seiner ausdrucksvollen, mit viel Leidenschaft und Seele geführten Stimme eroberte sich Carreras auf Anhieb die Herzen der Wiener Opernfans. Es entwickelte sich eine einzigartige Beziehung zwischen Künstler und Publikum, welche bis heute ungebrochen ist und ihresgleichen sucht.

1984 wurde José Carreras der Titel „Kammersänger“ verliehen. 1988 wurde der Tenor zum Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper ernannt.

Comeback an der Wiener Staatsoper

Sein Comeback-Konzert in der Wiener Staatsoper am 16. September 1988 ist längst in die Geschichte eingegangen. Unvergessen bleibt der anspruchsvolle Liederabend, mit dem sich José Carreras nach seiner schweren überwundenen Leukämie-Erkrankung an der Wiener Staatsoper zurückmeldete. Der Applaus des Wiener Publikums wollte damals nicht enden. Für alle, die diesem legendären Comeback-Konzert nicht beiwohnen konnten (einschließlich meiner Person) gibt es zum Trost ein eindrucksvolles Video auf YouTube:

Bei seinem Opern-Comeback als Don José in Bizets Oper Carmen im Januar 1990 sollte diese Begeisterung noch übertroffen werden. Künstler und Publikum waren damals gleichermaßen berührt von der Rückkehr des Tenors auf die Opernbühne, welche nach allem, was er hinter sich hatte, an ein Wunder grenzte. Der frenetische Applaus des Publikums war überwältigend. Als unvergessliche Sternstunde ging dieses Ereignis in die Geschichte der Wiener Staatsoper ein.

Im Januar 1990 wurde José Carreras das Goldene Ehrenzeichen der Stadt Wien verliehen. 1999 wurde er mit dem Goldenen Ehrenzeichen der Republik Österreich ausgezeichnet. 2013 folgte dann noch der Ehrenring der Wiener Staatsoper.

Auch nach überstandener Krankheit erfreute Carreras das Wiener Opernpublikum mit neuen Rollendebüts und überzeugte in den großen Partien des Spinto-Fachs: Samson et Dalila (Samson), Fedora (Loris Ipanov), Hérodiade (Jean), Jérusalem (Gaston) und Stiffelio.

Auch das 30-jährige Jubiläum von José Carreras an der Wiener Staatsoper im Februar 2004 wurde ein voller Erfolg. Nach einem Liedprogramm im ersten Teil zog der Tenor noch einmal alle Register seines musikdramatischen Schaffens: Mit dem Finale aus der Oper Sly von Ermanno Wolf-Ferrari – einer Partie, mit der er bereits 1998 in Zürich debütiert hatte, sowie dem 4. Akt aus der Oper Carmen von Georges Bizet riss er das Wiener Publikum zu Begeisterungsstürmen hin.

Am 15. September 2013 kehrte José Carreras im Rahmen einer Konzertmatinee abermals an die Wiener Staatsoper zurück. Anlass war sowohl das 25-jährige Jubiläum seines Comeback-Konzerts an der Wiener Staatsoper (16. September 1988) als auch das 25-jährige Bestehen der von ihm gegründeten Leukämie-Stiftung (Juli 1988). Mit diesem Auftritt wurde gewissermaßen auch das 40-jährige Jubiläum an der Wiener Staatsoper vorweggenommen, das der Tenor im Januar 2014 feiern konnte.

José Carreras - Wiener Staatsoper 2013
José Carreras & Dominique Meyer, Konzertmatinee in der Wiener Staatsoper, 15. September 2013 –  © Sylvia Kreye

Abschiedsgala in der Wiener Staatsoper

Die Interpreten

  • José Carreras Tenor
  • Elīna Garanča Mezzosopran
  • Johanna Wallroth Sopran
  • Michael Arivony Bariton
  • Lorenzo Bavaj Klavier

Das Kallisto-Quartett:

  • Albena Danailova Violine
  • Andreas Großbauer Violine
  • Robert Bauerstatter Viola
  • Tamás Varga Violoncello

Das Programm

Francesco Paolo Tosti L’ultima canzone José Carreras
Francesco Paolo Tosti Sogno José Carreras
Giacomo Puccini O mio babbino caro Johanna Wallroth
Giacomo Puccini Crisantemi Kallisto-Quartett
Furio Rendine Vurria José Carreras
Edvard Grieg T’estimo José Carreras
Franz Schubert Ständchen Michael Arivony
Joaquín Rodrigo En Aranjuez, con tu amor José Carreras
Josef Lanner Die Mozartisten Kallisto-Quartett
W. A. Mozart Bei Männern, welche Liebe fühlen (Zauberflöte) Johanna Wallroth & Michael Arivony
Alexandre Derevitsky Serenata sincera José Carreras
Rodolfo Falvo Dicitencello vuie José Carreras
Stanislao Gastaldon Música proibita Elīna Garanča
Erik Satie Je te veux José Carreras & Elīna Garanča
Nicola Valente Passione José Carreras
Ernesto de Curtis Non ti scordar di me José Carreras & Elīna Garanča
Salvatore Cardillo Core n’ingrato José Carreras

Auf das offizielle Programm folgten noch fünf Zugaben.

Mit einem Liederabend in der Staatsoper verabschiedete sich KS José Carreras vom Wiener Publikum. – © fotografiefetz. Mit freundlicher Genehmigung von CAPE 10.

Con anima e passione – Mit Seele und Leidenschaft

Zur Einführung der Abschiedsgala hielt Operndirektor Bogdan Roščić eine Laudatio über das Wirken von José Carreras an der Wiener Staatsoper. Dazu wurden einige der intensivsten Opernauftritte des Tenors an der Wiener Staatsoper eingespielt: Carmen (1990, Dirigent: Claudio Abbado), La Bohème (1977, Dirigent: Herbert von Karajan), das Comeback an der Wiener Staatsoper nach überstandener Leukämie-Erkrankung (1988) und Turandot (1983, Dirigent: Lorin Maazel).

Bei seiner Abschiedsgala in der Wiener Staatsoper zog José Carreras noch einmal alle Register seines sängerischen Könnens. Und dies tat er wie immer con anima e passione: Mit viel Leidenschaft und aus tiefster Seele brachte er italienische und neapolitanische Kanzonen von Francesco Paolo Tosti, Furio Rendine, Rodolfo Falvo und Nicola Valente zu Gehör. Wie schon bei seinem Comeback-Konzert im September 1988, durfte „T’estimo“, die katalanische Version des Liedes „Ich liebe dich“ von Edvard Grieg, auch an diesem Abend nicht fehlen. Dieses Lied liegt ihm ganz besonders am Herzen, was an seinem ausdrucksvollen Gesang deutlich zu spüren ist. Es ist eine musikalische Liebeserklärung an sein Wiener Publikum.

Berührend auch die Duette, die der Tenor gemeinsam mit Elīna Garanča vortrug: „Je te veux“ von Eric Satie und „Non ti scordar di me“ von Ernesto de Curtis.

Abschiedsgala José Carreras
Elīna Garanča und José Carreras, am Flügel (links): Lorenzo Bavaj. – © fotografiefetz. Mit freundlicher Genehmigung von CAPE 10.

Die Kanzone „Música proibita“ von Stanislao Gastaldon wurde diesmal nicht von José Carreras, sondern von Elīna Garanča vorgetragen. Die aus Lettland stammende Mezzosopranistin, elegant gekleidet in einer roten Robe im Carmen-Stil, ließ ihr schönes Timbre üppig verströmen. Im Mezzo-Fach gehört sie derzeit zu den führenden Interpretinnen. Ihre Registerwechsel sind geschmeidig und ausgeglichen, was auf eine gute Gesangstechnik hinweist. Registerbrüche, wie man sie gelegentlich bei anderen Mezzosopranen hört, scheinen für sie kein Thema zu sein.

Zwei Mitglieder des Opernstudios der Wiener Staatsoper, Johanna Wallroth (Sopran) und Michael Arivony (Bariton), nutzten die Gunst der Stunde und ergänzten das Programm mit ihren stimmlichen Darbietungen. Johanna Wallroth überzeugte mit der Arie „O mio babbino caro“ aus der Oper Gianni Schicchi von Giacomo Puccini, ebenso Michael Arivony mit dem Ständchen von Franz Schubert. Zusammen erfreuten die beiden Interpreten das Publikum mit dem Duett „Bei Männern, welche Liebe fühlen“ aus der „Zauberflöte“ von Wolfgang Amadeus Mozart.

Unterstützt wurden die Sänger von Lorenzo Bavaj am Flügel, der sich bereits in zahlreichen Konzerten über Jahrzehnte hinweg als musikalisch einfühlsamer, stets zuverlässiger Begleiter von José Carreras bewährt hat. Der Tenor und der Pianist sind ein perfekt eingespieltes, unzertrennliches Team.

Die Musiker des Kallisto-Quartetts, allesamt Mitglieder des Wiener Staatsopernorchesters bzw. der Wiener Philharmoniker, sorgten nicht nur für die musikalische Begleitung einiger Gesangsnummern, sondern brillierten auch in den Instrumentalwerken. In „Crisantemi“ von Puccini sowie „Die Mozartisten“ von Josef Lanner überzeugten sie durch Präzision und Virtuosität.

Emotionaler Abschied

Bei der Abschiedsgala von José Carreras zeigte sich einmal mehr, dass gutes Singen keine Frage des Alters, sondern das Ergebnis solider Belcanto-Technik und langjähriger Erfahrung ist. Auch mit seinen beinahe 75 Lenzen konnte sich José Carreras die Schönheit und Brillanz seiner Stimme bewahren, wenngleich diese naturgemäß auch dunkler und schwerer geworden ist.

Ich denke immer noch gern an den emotionalen Abschied von KS José Carreras in der Wiener Staatsoper zurück, auch wenn ich den Eindruck hatte, dass der Tenor an diesem Abend (im Vergleich zu den letzten Auftritten) nicht ganz in Bestform war. Dass die Intonation stellenweise eine kleine Nuance zu tief war, blieb dem geschulten Ohr wohl nicht verborgen, jedoch war dies vermutlich auf eine leichte Indisposition zurückzuführen. Bekanntlich ist die Tagesform selbst bei ausgezeichneten (auch jüngeren!) Sängern keineswegs immer gleich. Dies erscheint jedoch irrelevant im Lichte der künstlerischen Ausdrucksstärke und menschlichen Ausstrahlung dieses Ausnahmekünstlers. Schließlich ging es an diesem Abend nicht um bloße musikalische Perfektion, sondern um Emotionen, Zuneigung und Ehrerbietung gegenüber einem hochverdienten Sänger, der die Wiener Staatsoper über mehrere Jahrzehnte geprägt hat.

So folgten auf das offizielle Programm noch fünf Zugaben, in deren Verlauf Carreras immer mehr auftaute. Nun erstrahlte sein Spinto-Tenor kraftvoll und leidenschaftlich wie immer. Das war der José Carreras, wie wir ihn alle kennen! Spätestens beim berühmten „Granada“ von Augustín Lara gab es kein Halten mehr! Das Wiener Publikum bedankte sich bei Carreras und allen Mitwirkenden mit standing ovations und langanhaltendem Applaus.

José Carreras - Abschiedsgala
Viel Applaus gab’s für die Mitwirkenden der Abschiedsgala von José Carreras an der Wiener Staatsoper – © Sylvia Kreye

Es war ein berührender Abschied, der auch mich als Carreras-Fan und Opernfreundin ein wenig melancholisch stimmt. Mit Wehmut und Dankbarkeit denke ich an die wunderbaren Abende voller Intensität zurück, die ich mit José Carreras in der Wiener Staatsoper erleben durfte. Als Opernbesucherin werde ich diese schöne, einmalige Tenorstimme sehr vermissen. Aber als Sängerin werde ich ihn wohl noch mehr vermissen, denn José Carreras war es auch, der einst meine Begeisterung für die Oper geweckt und mich musikalisch immer wieder neu inspiriert hat.

Aber der Abschied von der Wiener Staatsoper bedeutet ja noch nicht den endgültigen Abschied von der Bühne. An anderen Orten wird José Carreras ja auch in Zukunft noch auftreten. Darüber hinaus präsentiert er alljährlich im Dezember die große JOSÉ CARRERAS GALA zur Unterstützung seiner Leukämie-Stiftung, die live aus Leipzig im deutschen Fernsehen übertragen wird. – Und zum Glück sind da ja auch noch die zahlreichen Tonaufnahmen, die man sich immer wieder anhören kann.

Abschiedsgala José Carreras
Adéu i gràcies, Josep! (katalanisch für „Adieu und Danke, Josef!“) – © Sylvia Kreye

Der hohe Stellenwert, den die Wiener Staatsoper in der Öffentlichkeit und im Alltag der Wiener einnimmt, manifestiert sich auch an den Lichtinstallationen, die bei wichtigen Anlässen an der Frontseite des Hauses am Ring zu sehen sind. So wurde auch KS José Carreras mit einer originellen, wechselnden Lichtinstallation geehrt: ADIÓS JOSÉ!

Abschiedsgala José Carreras

José Carreras - Abschiedsgala
ADIÓS JOSÉ – Wiener Staatsoper, Frontansicht mit Lichtinstallation zum Abschied von José Carreras – © Sylvia Kreye

José Carreras Leukämie-Stiftung & CAPE 10

Man kann nicht von José Carreras sprechen oder schreiben, ohne den karitativen Aspekt hervorzuheben. Mit unermüdlichem Engagement widmet sich der Sänger seit mehr als drei Jahrzehnten der Arbeit für seine Leukämie-Stiftung. Aus Dankbarkeit für seine Heilung gründete José Carreras im Juli 1988 in Barcelona die José Carreras International Leukaemia Foundation (Fundación internacional Josep Carreras para la lucha contra la leucemia).

Wenige Jahre später wurden auch Stiftungen mit demselben Ziel in den USA und der Schweiz gegründet. 1995 gründete José Carreras die Deutsche José Carreras Leukämie-Stiftung mit Sitz in München. Dabei spielten die Großzügigkeit und das persönliche Engagement des Unternehmens Chopard und der Familie Scheufele eine große Rolle.

Bis heute hat die José Carreras Leukaemia Foundation rund 300 Millionen Euro an Spenden gesammelt. Mit Hilfe der Carreras Leukämie-Stiftungen konnten insgesamt über 1.500 Forschungsprojekte gefördert werden. Dazu gehören sowohl der Bau und die medizinische Ausrüstung von Knochenmarktransplantationseinheiten und Forschungseinrichtungen als auch diverse soziale Angebote für einkommensschwache Patienten und ihre Familien.

José Carreras hat sich Zeit seines Lebens für karitative Zwecke eingesetzt. Seine Gage für die Abschiedsgala in der Wiener Staatsoper spendete er CAPE 10, einer gemeinnützigen Stiftung mit dem Ziel, unverschuldet in Not geratene und hilfsbedürftige Menschen zu unterstützen und zu fördern.

Die Stiftung CAPE 10 betreibt zurzeit drei Projekte:

  • MAX & LARA, ein Projekt zur Förderung der sozialen Integration von Kindern und Jugendlichen armutsbetroffener Familien
  • NEIN ZU KRANK UND ARM, ein Soforthilfeprojekt für kranke und arme Menschen zur Unterstützung und Finanzierung notwendiger Therapien
  • CAPE 10 – HAUS DER ZUKUNFT UND SOZIALEN INNOVATION, jener Ort, der alle Stiftungsprojekte unter einem Dach vereint. Es ist ein Zentrum für sozial und gesundheitlich benachteiligte Personen mit Sitz im 10. Wiener Gemeindebezirk, im neuen Sonnwendviertel am Wiener Hauptbahnhof.

Quellen

  • Programmheft: Abschiedsgala José Carreras, Wiener Staatsoper, 14. September 2021
  • Programmheft: Konzertmatinee José Carreras, Wiener Staatsoper, 15. September 2013
  • Programmheft: José Carreras, 30 Jahre Wiener Staatsoper, 27. Februar 2004
  • José Carreras: Singen mit der Seele, Kindler-Verlag GmbH, München 1989

Web-Links

  • Erlebnis BÜHNE, ORF III – Hommage an José Carreras, Ein Weltstar nimmt Abschied von Wien. Operndirektor Bogdan Roščić über das Wirken von José Carreras an der Wiener Staatsoper:

https://www.youtube.com/watch?v=nBSHlC7Jb68

  • Erlebnis BÜHNE, ORF III – Abschiedsgala José Carreras aus der Wiener Staatsoper, 14. September 2021:

https://www.youtube.com/watch?v=LaBAZ5YE8I8

  • Sylvia Kreye: José Carreras, 60-jähriges Bühnenjubiläum, Teil 1 & 2, Lingua & Musica, 30. & 31. Januar 2018

https://linguamusica.eu/jose-carreras-60-jaehriges-buehnenjubilaeum-teil-1-1958-1987/

https://linguamusica.eu/jose-carreras-60-jaehriges-buehnenjubilaeum-teil-2-1988-2017/

  • Sylvia Kreye: Umjubelte Konzert-Matinee mit José Carreras an der Wiener Staatsoper, meinbezirk.at, 19. September 2013

https://www.meinbezirk.at/meidling/c-lokales/umjubelte-konzertmatinee-mit-jos-carreras-in-der-wiener-staatsoper_a697065

  • José Carreras. Vienna State Opera 1988. Recital

https://www.youtube.com/watch?v=cyaFRSxLKiI

  • DIE JOSÉ CARRERAS GALA 2021, JOSÉ CARRERAS LEUKÄMIE-STIFTUNG

https://www.carreras-stiftung.de/jose-carreras-gala/

  • Wikipedia: Stimmfach

https://de.wikipedia.org/wiki/Stimmfach

José Carreras The Grand Prix – Preisträgerkonzert

José Carreras The Grand Prix – Preisträgerkonzert

Musikverein, Brahms-Saal, 24. Mai 2019

José Carreras The Grand Prix ist der Titel des Internationalen Opernwettbewerbs, der im September 2018 in Moskau ausgetragen wurde. Das Preisträgerkonzert fand jetzt im Brahms-Saal des Wiener Musikvereins statt.

José Carreras The Grand Prix

Im wunderschönen Brahms-Saal des Wiener Musikvereins präsentierte Kammersänger José Carreras die Preisträger des Internationalen Opernwettbewerbs José Carreras The Grand Prix. Es handelt sich dabei um einen internationalen Tenor-Wettbewerb der Elena Obraztsova Stiftung in Moskau. Nun erhielten die Preisträger des letzten Opernwettbewerbs die Chance, im Brahms-Saal des Musikvereins ihr gesangliches Können zu demonstrieren.

Die Interpreten

Die Interpreten waren die vier Gewinner-Tenöre des letzten Internationalen Opernwettbewerbs José Carreras The Grand Prix in Moskau:
• Andrey Danilov, Tenor
• Shota Chibirov, Tenor
• Evgeny Liberman, Tenor
• Michail Pirogov, Tenor
Am Klavier wurden sie begleitet durch Lorenzo Bavaj, der sich schon seit vielen Jahren als zuverlässiger und einfühlsamer Begleiter von José Carreras bewährt hat.

José Carreras The Grand Prix
Die vier Preisträger des Wettbewerbs José Carrears Grand Prix. Am Flügel: Loreno Bavaj. Foto: Brigitte Görg.

Das Programm

Auf dem Programm standen Arien und Kanzonen von Gioacchino Rossini, Giuseppe Verdi, Giacomo Puccini, Peter Iljitsch Tschaikowskij, Francesco Cileà, Ruggero Leoncavallo, Ernesto de Curtis, Pablo Sorozábal, Rudolfo Falvo, Salvatore Cardillo, Furno de Curtis und Enrico Cannio. Hier die genaue Programmabfolge:

Gioacchino Rossini
Valse lugubre
Giuseppe Verdi
Arie des Riccardo aus der Oper „Un ballo in maschera“
Giacomo Puccini
Arie des Cavardossi aus der Oper „Tosca”
Giuseppe Verdi
Arie des Macduff aus der Oper „Macbeth“
Peter Iljitsch Tschaikowskij
Arie des Lenskij aus der Oper „Eugen Onegin”
Giuseppe Verdi
Arie des Herzogs aus der Oper „Rigoletto”
Peter Iljitsch Tschaikowskij
Arioso des Hermann aus „Pique Dame”
Francesco Cilèa
Lamento di Federico aus der Oper „L´Arlesiana”
Giacomo Puccini
Arie des Roberto aus der Oper „Le Villi“

— Pause —

Astor Piazzolla
Milonga del Angel
Ruggero Leoncavallo
Mattinata
Ernesto de Curtis
Tu, ca nun chiagne
Torna a Sorriento
Pablo Sorozábal
Romanze des Leandro aus der Zarzuela „La taberna del puerto”
Rodolfo Falvo
Dicitencello vuje
Salvatore Cardillo
Core n’grato
Ernesto de Curtis
Non ti scordar di me
Enrico Cannio
O surdato ’nnammurato

Zugaben
N.N.
Ach, ty duschetschka
Spanisches Volkslied
Giacomo Puccini
Nessun dorma. Arie des Principe aus der Oper „Turandot“

Stimmliche Brillianz

Die vier jungen Tenöre begeisterten das Wiener Publikum und überzeugten durch ihre großen, tragfähigen Stimmen sowie ihre ausdrucksstarke Interpretation der Opernarien und Kanzonen. Dank ihrer durchgebildeten Belcanto-Technik, welche sich durch perfekte Legato-Kultur und korrekte Positionierung der Stimme (unter optimaler Ausnutzung der Sinusresonanzen) auszeichnet, zeigten die vier Preisträger eine stimmliche Brillianz, mit der sie auch den Goldenen Saal des Musikvereins locker hätten ausfüllen können. Auch an Ausdrucksstärke blieben die vier Tenöre nichts schuldig – wenngleich das mezza voce und die Piano-Kultur – die Kunst der leisen Töne – auch hier und da noch ausbaufähig sind.

Die vier Tenöre ernteten für ihre gesanglichen Darbietungen frenetischen Applaus und bedankten sich beim Wiener Publikum mit drei Zugaben.

José Carreras The Grand Prix
Mit Zugaben bedankten sich die vier Tenöre beim Wiener Publikum. Am Flügel: Lorenzo Bavaj. Foto: Brigitte Görg.

José Carreras und Wien

Einziger Wermutstropfen: Maestro José Carreras hat an diesem Abend lediglich präsentiert, aber nicht gesungen. Er hat sich in seiner vornehmen und bescheidenen Art bewusst zurückgehalten und dem sängerischen Nachwuchs die Bühne überlassen. Natürlich ist es auch verständlich, dass er sich im Alter nun allmählich von der Bühne zurückziehen möchte, aber dennoch werden er und seine Gesangskunst hier in Wien, vor allem an der Wiener Staatsoper, schmerzlich vermisst.

José Carreras The Grand Prix
In der Pause nimmt sich Maestro José Carreras Zeit für das Publikum. Foto: Sylvia Kreye
José Carreras The Grand Prix
KS José Carreras spricht mit den Zuhörern und begrüßt auch Autorin Sylvia Kreye. Foto: Brigitte Görg.

 

 

 

 

 

 

 

 

An dem Abend im Brahms-Saal nutzte ich während der Pause die Chance, Herrn KS José Carreras kurz zu begrüßen. Bei dieser Gelegenheit fragte ich ihn, ob er am Sonntag beim Jubiläumskonzert „150 Jahre Wiener Staatsoper“ singen würde. José Carreras musste meine Frage leider verneinen und sagte, dass er bereits am Samstag nach Barcelona zurückfahren würde. Er habe stattdessen ein Video mit Glückwünschen geschickt.

Das Video mit den persönlichen Grüßen von José Carreras wurde am Abend des Jubiläumskonzerts vor der Oper auf der Video-Wand gezeigt und ist auch auf der Facebook-Seite der Wiener Staatsoper veröffentlicht. Dies ist wenigstens ein kleiner Trost für alle Wiener Opernfreunde und Carreras-Fans. Hier geht’s zum Video mit Carreras’ Glückwünschen auf Facebook:

Berührende Jubiläumswünsche von José Carreras! #wso150 #jubilaeum #happybirthday @josecarrerastenor

Gepostet von Wiener Staatsoper am Donnerstag, 23. Mai 2019

Quellen

Programm José Carreras The Grand Prix, Musikverein, 24. Mai 2019
https://www.musikverein.at/konzert/eventid/41405

José Carreras: 60-jähriges Bühnenjubiläum | Teil 2: 1988-2017

José Carreras: 60-jähriges Bühnenjubiläum

Teil 2: 1988-2017 

Ein Leben für die Musik 

José Carreras’ 60-jähriges Bühnenjubiläum ist in den Medien irgendwie sang- und klanglos untergegangen. Wurde es einfach vergessen? Vor 60 Jahren, am 3. Januar 1958, stand Josep Carreras in seiner Heimatstadt Barcelona zum ersten Mal auf der Bühne. – Doch könnte der Tenor im September dieses Jahres noch ein weiteres Jubiläum feiern: den 30. Jahrestag seines Comebacks an der Wiener Staatsoper! Dies ist ein Grund mehr, dem großen Tenor auf Lingua & Musica einen ausführlichen Beitrag zu widmen!

Das große Comeback   

Das Jahr 1988 war für José Carreras in jeder Hinsicht ein bedeutendes Jahr. Kurz nach seiner Genesung, im Sommer 1988, standen gleich zwei große Ereignisse an: das große Comeback-Konzert unter dem Arc de Triomf in Barcelona und die Gründung der Fundación Internacional para la lucha contra la Leucemia, der Internationalen José Carreras Leukämie- Stiftung.

Schon Anfang März 1988, nur wenige Tage nach seiner Rückkehr aus Seattle, begann er heimlich, Stimmübungen zu machen – sehr zum Leidwesen seines damaligen Arztes in Barcelona, der ihn eindringlich ermahnte, das Singen vorläufig noch zu unterlassen und geduldiger zu sein. Doch Carreras’ Zustand besserte sich von Tag zu Tag, und allmählich konnte er auch mit der Vorbereitung zu seinem Comeback beginnen.

Am 21. Juli 1988 war es endlich soweit: Zum ersten Mal nach seiner schweren Erkrankung konnte José Carreras wieder auftreten. Sein legendäres Comeback-Konzert unter dem Arc de Triomf in seiner Heimatstadt Barcelona wurde zu einem spektakulären Ereignis, das längst in die Geschichte eingegangen ist. In seiner neuen Autobiographie mit dem Titel „Aus vollem Herzen“ erinnert sich José Carreras an dieses emotionale Erlebnis:

„Nur wenige Minuten nach zehn trat ich auf die Bühne, und als ich merkte, mit welcher Wärme man mich empfing, kam es mir vor, als könne ich nicht einmal Guten Abend sagen. Ich hatte einen Kloß in der Kehle, und meine Augen wurden feucht. Ich wusste nicht, wie ich den nötigen Abstand zum Publikum herstellen sollte, und versuchte, an etwas anderes zu denken. Als mir das fast gelungen war, sah ich, dass man auf die Wand eines Hauses auf Katalanisch den Satz projiziert hatte: „José, wir freuen uns, dass du wieder hier bist.“ Meine Landsleute machten es mir wahrlich nicht leicht, doch schließlich gelang es mir, Herr der Lage zu werden, und ich begann zu singen. Für den Anfang hatte ich mich für „T’estimo“ entschieden, die katalanische Fassung von Edvard Griegs Lied „Ich liebe dich“, eins meiner liebsten, und den Schluss bildete „Nessun dorma“, die Arie des Prinzen Kalaf aus Turandot, die ich hinreißend finde, obwohl sie alles andere als einfach zu singen ist.“ (José Carreras mit Màrius Carol: Aus vollem Herzen – Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik, aus dem Spanischen von Karl A. Klewer, © 2011 by Siedler Verlag, München, S. 175-176.)

Wenige Wochen später, am 8. August 1988, präsentierte José Carreras in der Arena di Verona die „Grande notte di Verona“, wo er neben vielen Sängerkollegen aus der Opernwelt auftrat und sich mit „Granada“ beim italienischen Publikum zurückmeldete.

Der Benefizabend in der Arena von Verona wurde zu einer langen italienischen Nacht. Es muss dort eine einzigartige Stimmung geherrscht haben, wie man sie wohl nur in Verona erleben kann. Die Erlöse aus den Konzerten in Barcelona und Verona kamen sogleich der neu gegründeten José Carreras Leukämie-Stiftung zugute.

Am 16. September 1988 konnte der wieder genesene Startenor einen weiteren Höhepunkt feiern: seine Rückkehr an die Wiener Staatsoper. An jenem Abend gab Carreras in der Staatsoper einen höchst anspruchsvollen Liederabend, der zu einem historischen Ereignis in der Geschichte der Staatsoper wurde. In seiner Autobiographie „Singen mit der Seele“ erinnert sich der Tenor:

„Nach einer so langen Zwangspause an einen Ort zurückzukehren, an dem man mehr als hundertmal aufgetreten ist, an dem man große Erfolge gefeiert hat, das ist ein unvergleichliches emotionsgeladenes Erlebnis. Noch dazu, wenn sich ein Publikum so herzlich und zugleich enthusiastisch verhält. Das gewisse Etwas lag in der Luft – jene Stimmung, die nicht genau beschreibbar oder definierbar ist, die es nur ganz selten gibt in einem Theater. Man fühlt schon nach dem ersten Schritt auf der Bühne, dass sich etwas Außergewöhnliches ereignen wird. Das Publikum spürt es auch, und diese Wechselwirkung ergibt schließlich das, was man einen großen Abend nennt. Emotionell machten mir die Sekunden meines Auftritts fast mehr zu schaffen als vor dem Arc de Triomf in Barcelona. Das lag wohl auch am vergleichsweise intimen Rahmen des Opernhauses. Im geschlossenen Raum wirkt alles stärker und intensiver. Ein Aufschrei kam mir aus dem Oval entgegen, mit einer langen stehenden Ovation wurde ich begrüßt. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, dass mein Konzert zeitlich die Ausmaße einer kürzeren Wagner-Oper erreichen würde – mehr als drei Stunden, was für einen Liederabend respektabel ist.“ (José Carreras, Singen mit der Seele, © 1989 by Kindler Verlag GmbH, München, Seite 205-206.)   

Die zweite Karriere des Tenors

Neben seinem unermüdlichen Einsatz im Kampf gegen Leukämie ist das Singen natürlich nach wie vor der Lebensinhalt von José Carreras.

Nachdem seine Stimme im Laufe der Jahre dunkler und schwerer geworden ist (was übrigens bei Opernsängern eine ganz normale Entwicklung ist), wechselte Carreras bereits in den 80er Jahren ins sogenannte „Spinto“-Fach. (Der Ausdruck „spinto“ kommt vom italienischen Wort „spingere“ = stoßen und bezeichnet das lyrisch-dramatische Zwischenfach mit seinen dramatischen Akzenten.)

Bereits in den 80er und 90er Jahren übernahm Carreras anspruchsvolle Spinto-Partien von Giuseppe Verdi, Giacomo Puccini, Jules Massenet, Georges Bizet und diversen Komponisten des italienischen Verismo. Der Don José in Bizets Oper Carmen war eine seiner besten Rollen. In den 90er Jahren feierte José Carreras unter anderem in den Verdi-Opern Stiffelio und Jérusalem, als Loris Ipanoff in Fedora von Umberto Giordano, als Jean in Hérodiade von Jules Massenet und als Samson in der Oper Samson e Dalila von Saint-Saëns (unter anderem in Wien, London und Barcelona) große Erfolge.

Auch auf dem Gebiet der zeitgenössischen Oper leistete Carreras einen wichtigen Beitrag für die Opernwelt: 1989 stand er in Barcelona (erstmals nach seiner Krankheit) in der Oper Cristobal Colón von Leonardo Balada auf der Bühne des Liceu. Im Jahre 1998 fanden die Aufführungen der Oper Sly von Ermanno Wolf-Ferrari in Zürich große Beachtung. Die Oper wurde im Jahre 2000 auch in Barcelona aufgeführt. Nach mehrjähriger Abstinenz von der Opernbühne folgte im Jahre 2014 die Uraufführung der Oper El Juez von Christian Kolonovits in Bilbao. Das Werk wurde inzwischen auch in St. Petersburg, im Rahmen der Tiroler Festspiele Erl sowie im Theater an der Wien erfolgreich aufgeführt.

Bei Carreras’ Auftritten an der Wiener Staatsoper ist die Zuneigung zwischen dem Tenor und seinem Wiener Publikum besonders intensiv spürbar. Sein umjubeltes Comeback-Konzert vom 16. September 1988, seine Rückkehr auf die Opernbühne als Don José in Carmen im Jänner 1990 sowie sein 30-jähriges Bühnenjubiläum an der Wiener Staatsoper im Februar 2004 sind längst in die Geschichte der Wiener Staatsoper eingegangen.

Interessanterweise waren es ausgerechnet die Spinto-Partien – jene schwereren Opernpartien des dramatischeren Zwischenfachs – mit denen  José Carreras seine größten Erfolge feiern konnte! Somit strafte er sämtliche Skeptiker und Kritiker Lügen, die ihm bereits das Ende seiner Karriere vorausgesagt hatten!

Im Laufe seiner langen Karriere hat José Carreras zahlreiche Opernpartien gesungen und unzählige Liederabende gegeben. Sein Repertoire umfasst inzwischen mehr als 60 Opernpartien und schätzungsweise mehrere Hundert Lieder. In all den Jahren seiner erfolgreichen Karriere wurden dem Tenor zahlreiche Auszeichnungen verliehen. Unter anderem wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Universität Barcelona (1989), der Edinburgh Napier University (2000) und der Universität des Saarlandes (2012) zuerkannt. Darüber hinaus ist er seit 1990 Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper sowie der Royal Academy of Music. Eine lückenlose Aufzählung seiner zahlreichen Erfolge und Auszeichnungen würde jedoch den Rahmen dieses Artikels sprengen.

Die drei Tenöre

Ein wichtiges Thema sollte in diesem Beitrag auf jeden Fall erwähnt werden: die Konzerte der drei Tenöre. Zusammen mit seinen beiden Tenor-Kollegen Luciano Pavarotti und Placido Domingo konnte José Carreras in den 90er Jahren ganze Fußball-Stadien füllen. Das legendäre Konzert in den Caracalla-Thermen von Rom, das die drei Tenöre am 7. Juli 1990 im Rahmen der Fußball-Weltmeisterschaft in Italien präsentierten, ist inzwischen in die Geschichte eingegangen und bildete den Auftakt einer ganzen Serie von Konzerten, welche die drei Tenöre um den gesamten Erdball führte. Im Rahmen der Fußball-Weltmeisterschaften waren die Konzerte der drei Tenöre und Fußballfans Carreras-Domingo-Pavarotti beinahe schon zu einer Tradition geworden. Besonders spektakulär waren – neben dem Rom-Konzert – auch die Konzerte in Los Angeles (1994) und Paris (1998). Mit dem Tod Pavarottis im Jahre 2007 waren leider auch die Konzerte der drei Tenöre beendet. Verständlicherweise wollten Carreras und Domingo dieses Projekt danach nicht mehr weiterführen, denn Luciano Pavarotti – so waren sich beide einig – war nun einmal nicht zu ersetzen.

Die Internationale José Carreras Leukämie-Stiftung

Bereits kurz nach seiner Erkrankung gründete José Carreras in Barcelona die Internationale José Carreras Leukämie Stiftung. Schon im  Sommer 1988 konnte der Sänger (aus dem Erlös der beiden Konzerte in Barcelona und Verona sowie weiterer Veranstaltungen) ansehnliche Spenden für seine neu gegründete Leukämie-Stiftung sammeln. Die Arbeit für die Leukämie-Stiftung ist für José Carreras – neben dem Singen – zu einem wichtigen Lebensinhalt geworden. Dank seines unermüdlichen Einsatzes und mit Hilfe der Spendengelder konnte José Carreras in all den Jahren seit der Gründung der Leukämie-Stiftung zahlreiche Forschungsprojekte realisieren, unter anderem die spanische Knochenspender-Datenbank REDMO (Registro de Donantes de Médula Ósea). Außerdem konnten viele Kliniken (darunter die Universitätskliniken in Barcelona, Leipzig, Berlin und München) mit Transplantationseinheiten ausgestattet werden.

Auch in den USA, in Deutschland und Japan gründete Carreras Stiftungen, die allesamt ein klar definiertes Ziel verfolgen: „Leukämie muss heilbar werden – immer und bei jedem.“ Im deutschen Fernsehen wird alljährlich im Dezember die große Carreras-Gala ausgestrahlt, bei der die Zuschauer anrufen und spenden können.

Seit 1995 konnte José Carreras mit Unterstützung von vielen internationalen und nationalen Stars in bislang 22 Galas und vielen weiteren Spendenaktionen insgesamt über 200 Millionen Euro an Spenden für den Kampf gegen Leukämie und andere Bluterkrankungen generieren. Mit diesem Geld wurden bereits über 1.100 Projekte finanziert, welche den Bau von Forschungs- und Behandlungseinrichtungen, die Erforschung von Leukämie und ihrer Heilung sowie die Arbeit von Selbsthilfegruppen und Elterninitiativen zum Ziel haben.

Bei der letzten Carreras-Gala am 16. Dezember 2017 kam erneut ein ansehnlicher Betrag von 3,2 Millionen Euro zusammen. Übertragen wurde das vorweihnachtliche TV-Ereignis auch diesmal live bei SAT.1 Gold im frei empfangbaren Fernsehen.

Privatleben 

Von 1971 bis 1992 war José Carreras mit der Geschichtsprofessorin Mercedes Pérez verheiratet. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor: Alberto (*1973) und Julia (*1978). Leider scheiterte die Ehe und wurde nach 21 Ehejahren geschieden. 2006 heiratete José Carreras Jutta Jäger, eine österreichische Flugbegleiterin, die er viele Jahre zuvor auf einem Flug kennengelernt hatte. Aber auch diese zweite Ehe verlief nicht so glücklich, wie Carreras sich das gewünscht hätte: Das Paar ließ sich 2011 wieder scheiden. Inzwischen ist Josep Carreras, wie der Katalane sich gern nennt, fünffacher Großvater. Offensichtlich genießt er diesen Status sowie auch die Zusammenkünfte mit seinen Kindern und Enkelkindern. Ob eines von ihnen wohl jemals in seine Fußstapfen treten wird, bleibt noch abzuwarten. 

Katalonien und der Fußball

Wie bereits erwähnt, musste José Carreras zur Zeit der Franco-Diktatur den kastilischen Vornamen „José“ annehmen. Seinen katalanischen Vornamen „Josep“ durfte er erst nach der Rückführung Spaniens in eine konstitutionelle Monarchie führen.

Privat ist Josep Carreras ein begeisterter Fußballfan und Anhänger des katalanischen Fußballteams FC Barcelona. Die Begeisterung für den Verein beruht nicht nur auf sportlichen Interessen, sondern ist auch Ausdruck der nationalen Identität des katalanischen Volkes:

„Das hat nicht nur mit der sportlichen Seite des Klubs zu tun, sondern vielmehr mit der Rolle, die er als gesellschaftliche Institution während der Franco-Diktatur  gespielt hat. Zu dieser Zeit mussten wir unsere Identität, unsere Wurzeln und Traditionen gegen die Repression von General Franco verteidigen. Die einzige Möglichkeit, unseren Selbstwert nach außen zu zeigen, war, zu den Spielen des FC Barcelona zu gehen. Nur im Camp Nou zeigten wir offen unsere wahren Gefühle, unsere Identität als eigenes kleines Land. Deshalb hat der FC Barcelona bis heute diese unglaubliche soziale Stärke und Bedeutung. Barça war und ist schon immer viel mehr gewesen als nur Sport.“ Und über seine Heimat Katalonien sagte der Sänger in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Katalonien ist mein Land, mein kleines Land. Ich liebe die Spanier, ich habe einen spanischen Pass, Spanien ist ein phantastisches Land, aber wir Katalanen fühlen da ein bisschen anders. Nicht besser, nicht schlechter. Einfach anders.“ (José Carreras im Gespräch „Eine eigene Nationalmannschaft für Katalonien“ – Interview in FAZ.net vom 4. Juni 2008.)

60 Jahre José Carreras – ein Leben für die Musik 

José Carreras hat sein Leben stets der Musik gewidmet. Derzeit befindet er sich auf seiner Abschiedstournee, die ihn noch einmal durch alle Städte führen soll, in denen er seine großen Erfolge feiern konnte. „A Live in Music“ ist der sprichwörtliche Titel seiner sogenannten World Final Tour, die sich insgesamt über einen Zeitraum von 2 – 3 Jahren hinziehen soll. Doch wie Carreras bereits verlauten ließ, gibt es für seinen Abschied von der Bühne nach wie vor keine genaue „Deadline“.

Bei dieser Gelegenheit sei daran erinnert, dass José Carreras kurz nach seinem Comeback einmal sagte, er glaube, dass mit 53 Jahren ein guter Zeitpunkt sei, sich von der Bühne zu verabschieden. Doch wie viele Jahre sind seitdem schon vergangen, und er singt immer noch – Gott sei dank!

Im Jahre 2009 hieß es, dass José Carreras sich von der Opernbühne endgültig verabschieden und nur noch Liederabende geben wolle. Ein paar Jahre lang hatte es tatsächlich den Anschein, als wolle der Sänger seinem Vorsatz treu bleiben – bis zu seinem großartigen Comeback auf die Opernbühne mit der Oper El Juez (Der Richter) von Christian Kolonovits im Jahre 2014.

Allen Unkenrufen zum Trotz: Die lange und erfolgreiche Karriere des José Carreras, eines der größten Tenöre unserer Zeit, ist noch lange nicht zu Ende! Er kann’s einfach (noch) nicht lassen! Und solange er gesund bleibt und seine Fans ihn hören wollen, ist das auch gut so! Auch wenn viele Kritiker ihm schon vor vielen Jahren das Ende seiner Karriere prophezeit haben: Er ist immer noch da! Wie sich Menschen doch irren können! Es bleibt daher zu hoffen, dass wir ihn doch noch einige Male auf der Bühne erleben werden, bevor er sich eines Tages in den wohlverdienten Ruhestand zurückzieht!

Als Autorin dieses Beitrages möchte ich diese Gelegenheit benutzen, meinem großen Vorbild José Carreras zu seinem 60. Bühnenjubiläum die herzlichsten Glückwünsche zu übermitteln und ihm für die weitere Zukunft alles Gute zu wünschen. Vor allem aber wünsche ich ihm weiterhin eine gute Gesundheit, denn das ist – ungeachtet der großen Erfolge – doch immer noch das Wichtigste im Leben!

Sylvia Kreye, Wien

Tipps für Musikfreunde & Carreras-Fans  

Der erste Teil des Artikels zum 60-jährigen Bühnenjubiläum von José Carreras ist am 30.01.2018 auf Lingua & Musica erschienen und unter folgendem Link abrufbar:

José Carreras: 60-jähriges Bühnenjubiläum | Teil 1: 1958-1987

Über das Konzert im Wiener Konzerthaus am 22. März 2017 wurde auf Lingua & Musica bereits ausführlich berichtet:

https://linguamusica.eu/a-life-in-music-jose-carreras-im-wiener-konzerthaus/

Ein weiterer Artikel über José Carreras – mit persönlichen Erinnerungen und Begegnungen – ist bereits anlässlich seines 70. Geburtstages am 5. Dezember 2016 auf Lingua & Musica (Musikalischer Adventskalender vom 5. Dezember) erschienen:

https://linguamusica.eu/der-musikalische-adventskalender-5-dezember-2016/

Hier noch ein paar Tipps für Carreras-Fans: Die aktuelle CD zur Abschiedstournee „A Live in Music“ ist im Handel oder über Shop24Direct zu beziehen:

https://www.shop24direct.at/produkt/a-life-in-music-118028

Es gibt nur noch 3 Exemplare – also rasch zugreifen!

Die neue Biographie von José Carreras, entstanden in Zusammenarbeit mit Màrius Carol und erschienen 2011 im Siedler Verlag trägt den Titel „Aus vollem Herzen“ und ist ebenfalls über Shop24Direct erhältlich:

https://www.shop24direct.at/produkt/sku/1487118

Weitere CDs und DVDs von José Carreras sind unter folgendem Link zu finden:

https://www.shop24direct.at/catalogsearch/result/?filter=&q=Jos%C3%A9+Carreras

Quellen & Literatur

José Carreras: 60-jähriges Bühnenjubiläum | Teil 1: 1958-1987

José Carreras: 60-jähriges Bühnenjubiläum

Teil 1: 1958-1987

Ein Leben für die Musik

José Carreras’ 60-jähriges Bühnenjubiläum ist in den Medien irgendwie sang- und klanglos untergegangen. Wurde es einfach vergessen? Vor 60 Jahren, am 3. Januar 1958, stand Josep Carreras in seiner Heimatstadt Barcelona zum ersten Mal auf der Bühne. – Doch könnte der Tenor im September dieses Jahres noch ein weiteres Jubiläum feiern: den 30. Jahrestag seines Comebacks an der Wiener Staatsoper! Dies ist ein Grund mehr, dem großen Tenor auf Lingua & Musica einen ausführlichen Beitrag zu widmen!

A Live in Music – die Abschiedstournee des Tenors

José Carreras hat sein Leben stets der Musik gewidmet. Derzeit befindet sich der Tenor auf seiner Abschiedstournee, die ihn noch einmal durch alle Städte führen soll, in denen er seine großen Erfolge feiern konnte. „A Live in Music“ ist der Titel seiner sogenannten World Final Tour, die sich insgesamt über einen Zeitraum von 2 – 3 Jahren hinziehen soll. Doch wie Carreras bereits verlauten ließ, gibt es für seinen Abschied von der Bühne nach wie vor keine genaue „Deadline“.

Viel Beachtung fanden im vergangenen Jahr zwei Konzerte, die José Carreras im Rahmen seiner World Final Tour in Österreich gab: das Konzert im Wiener Konzerthaus am 22. März 2017 und das letzte Konzert des Tenors im Großen Festspielhaus Salzburg am 20. Dezember 2017 (siehe Beitragsbild). Zu Wien und Salzburg hat der Tenor schon immer eine besonders enge Beziehung gehabt, denn in beiden Städten konnte er besonders große Erfolge feiern. Die Salzburger Festspiele und die Zusammenarbeit mit dem legendären Dirigenten Herbert von Karajan bildeten einen absoluten Höhepunkt seiner Karriere.

Ebenso erfolgreich waren José Carreras’ Auftritte an der Wiener Staatsoper, in den späten Jahren vor allem mit Opernpartien des dramatischeren Spinto-Fachs. Sein umjubeltes Comeback-Konzert vom 16. September 1988, seine Rückkehr auf die Opernbühne als Don José in Carmen im Jänner 1990 sowie sein 30-jähriges Bühnenjubiläum an der Wiener Staatsoper im Februar 2004 sind längst in die Geschichte der Wiener Staatsoper eingegangen.

Ein 60-jähriges Bühnenjubiläum ist ein Anlass, ein wenig Rückschau zu halten und einen Blick auf die Biographie des Sängers zu werfen.

Kindheit und Debüt mit elf Jahren

José Carreras, mit bürgerlichem Namen Josep Maria Carreras-Coll, wurde am 5. Dezember 1946 in Barcelona, im Stadtviertel Sants, als drittes Kind von José Carreras-Soler und Antonia Coll-Saigi, geboren. Katalonien stand seinerzeit unter dem Joch der Franco-Diktatur. Zur Zeit Francos war die katalanische Sprache verboten – die offizielle Staatssprache war Kastilisch. Dies war auch der Grund, warum José Carreras seinen katalanischen Vornamen „Josep“ offiziell nicht führen durfte. Erst viel später, nach der Rückführung Kataloniens in eine konstitutionelle Monarchie, durfte José Carreras sich wieder „Josep“ nennen – so wie er auch von seiner Familie und seinen Freunden stets genannt wurde.

Wie die meisten Katalanen war Carreras’ Vater, José Carreras-Soler, glühender Republikaner. Nachdem er im spanischen Bürgerkrieg an der Seite der Republikaner gegen das Franco-Regime gekämpft hatte, bekam auch die Familie Carreras die Repressalien des Regimes zu spüren. Nach 1939, dem Ende des Bürgerkrieges, durfte Josés Vater seinen Beruf als Französischlehrer nicht mehr ausüben. Ein Lehrer als Republikaner war für das Franco-Regime untragbar. Stattdessen wurde ihm eine Stelle als Verkehrspolizist bei der „Guardia Urban“ angeboten, die Carreras’ Vater notgedrungen annahm. Wegen der wirtschaftlichen und politischen Situation beschloss die Familie Carreras im Herbst 1951 (der kleine Josep war damals nicht einmal fünf Jahre alt), nach Argentinien auszuwandern. Jedoch erkannte die Familie schon sehr bald, dass sich der Traum von einem besseren Leben in Argentinien nicht erfüllen würde, und kehrte schon nach elf Monaten nach Katalonien zurück, denn auch in Argentinien war keine Besserung der Lebensumstände zu erwarten.

Wieder daheim in Barcelona, nahm der Vater seine Arbeit als Verkehrspolizist wieder auf. Die Mutter, Antonia Coll-Saigi, führte einen kleinen Friseursalon. Ein Kinobesuch der Familie Carreras sollte schon bald zu einem besonderen Erlebnis werden: Als eines Tages im Kino der Film „Der große Caruso“ mit Mario Lanza gespielt wurde, änderte sich das Leben des kleinen Josep schlagartig. José Carreras erinnert sich:

„Was mich an dem Film faszinierte, war aber weniger die Story. Ich bekam zwar das Wunder dieser Karriere irgendwie mit, mir gefielen die Reisen, der Ruhm, der Reichtum – aber was mir viel mehr imponierte, war die Musik. Die Opernarien und wie sie von Mario Lanza, dem Film-Caruso, gesungen wurden.“ (José Carreras, Singen mit der Seele, © 1989 by Kindler Verlag GmbH, München, Seite 75.)

Von nun an schmetterte der knapp sechsjährige Josep alle Arien, die er im Film gehört hatte, nach. Tagaus, tagein sang er zu Hause die Arien rauf und runter. Sein Favorit war die Arie des Herzogs aus der Oper Rigoletto – was ihm in der Schule schon bald den Spitznamen „Rigoletto“ einbrachte! Er sang und sang; seine Eltern und Geschwister trugen es mit Geduld und Fassung! „Can you imagine my poor family“, sagte José Carreras selbst einmal humorvoll in einem Interview! 

„Was am nächsten Tag passierte, war für meine Familie fast ein Schock. Nicht nur, dass ich sämtliche Arien aus dem Caruso-Film vollkommen richtig nachsang, obwohl ich sie nie vorher gehört hatte – ich sang keineswegs so, wie Kinder eben singen, sondern ich imitierte gleich die Art der Tenöre, Arien zu singen. Für meine Familie begann eine schwere Zeit. Ich sang und sang und sang. Als man mir nach einiger Zeit bedeutete, mein Gesang sei zwar wunderschön, gehe aber allen allmählich auf die Nerven, begab ich mich auf die Suche nach geeigneten Orten für meine musikalischen Darbietungen. Da ich an Zuhörern ohnehin nicht sehr interessiert war, schloss ich mich stundenlang auf dem Klo ein oder verbrachte längere Zeiten unter der Dusche als je zuvor in meinem Leben. Wo immer ich ein ruhiges Plätzchen fand, sang ich aus Leibeskräften. […]“ (José Carreras, Singen mit der Seele, © 1989 by Kindler Verlag GmbH, München, Seite 75-76.)

Der Film „Der große Caruso“ mit Mario Lanza hatte in dem sechsjährigen Josep Carreras eine unbändige Lust am Singen erweckt. Ansonsten jedoch verlief das Leben des kleinen Josep völlig normal. Er ging zur Schule wie alle anderen Jungen seines Alters, spielte Fußball und Handball, vor allem aber Basketball. Bald darauf erhielt der kleine Josep seinen ersten Musikunterricht bei Magda Prunera, einer Freundin seiner Mutter, im „Orfeon de Sants“, der örtlichen Musikschule. Schon nach einem Jahr konnte er an das städtische Konservatorium der Stadt Barcelona wechseln. Ein weiteres Schlüsselerlebnis war für den achtjährigen Josep Carreras sein erster Opernbesuch im Teatro del Liceu von Barcelona. Zusammen mit seinem Vater erlebte er ganz oben auf der fünften Galerie des traditionsreichen Opernhauses eine Aida-Vorstellung mit Renata Tebaldi als Aida und Umberto Borso als Radames. Von dem Moment an war für den achtjährigen Josep klar, dass dies einmal seine Welt sein sollte, dass er hierher gehöre.

Schon bald darauf – es war in der Weihnachtszeit – trat der Achtjährige in einer Benefizsendung des Radio Nacional d’Espana auf. Er sang ein katalanisches Weihnachtslied und – wie könnte es anders sein – die Arie des Herzogs aus Rigoletto: La donna è mobile!

Am 3. Januar 1958 – mit gerade einmal 11 Jahren – trat Josep Carreras zum ersten Mal im Gran Teatre del Liceu von Barcelona auf: In der Oper El Retablo del Maese Pedro von Manuel de Falla sang er die Knabenrolle des Trujamán. Der berühmte spanische Pianist und Dirigent José Iturbi dirigierte die Vorstellung. Der Auftritt wurde für den Elfjährigen zu einem großen Erfolg. In den folgenden Jahren erhielt Josep Carreras noch weitere Angebote vom Liceu: jeweils eine Knabenrolle in der Oper Amunt von Manuel Altisent und in Puccinis La Bohème. Für die Saison 1959/60 erhielt Josep ein weiteres Angebot des Liceu: Als nächstes sollte er den Hänsel in Humperdincks Märchenoper Hänsel und Gretel singen. Doch dann kam es anders: Der Stimmbruch machte ihm einen Strich durch die Rechnung, und er musste seine Mitwirkung in der Produktion Hänsel und Gretel absagen.

Die Ausbildung

Im Jahre 1964 begann José Carreras mit der Gesangsausbildung, zunächst bei Francisco Puig – jenem Gesangslehrer, der auch seinen Landsmann Jaime (Giacomo) Aragall unterrichtet hatte.

Im Herbst 1965 – nur ein Jahr, nachdem José Carreras sein Gesangsstudium aufgenommen hatte, wurde bei seiner Mutter Krebs im Endstadium diagnostiziert. Sie hatte nur noch wenige Tage zu leben und starb im Alter von nur 51 Jahren. Der damals 18jährige Josep hat sehr unter diesem Verlust gelitten und diesen Schicksalsschlag lange Zeit nicht überwunden.

Nach dem Tod seiner Mutter nahm José Carreras zunächst ein Chemie-Studium an der Universität von Barcelona auf, da sein Bruder und sein Schwager gerade dabei waren, eine Kosmetikfirma aufzubauen. Neben dem Studium nahm er weiterhin Gesangsunterricht und half im Betrieb seines Bruders und Schwagers. Nach dem Studienjahr 1967/68 jedoch entschied sich José Carreras endgültig für die Welt der Oper und gab das Chemie-Studium auf. – Da kommt unwillkürlich die Frage auf: Was wäre wohl aus Carreras geworden, wenn er nicht Sänger geworden wäre und das Chemie-Studium fortgesetzt hätte? Nicht auszudenken! Wie gut, dass er sich dann doch für den Gesang entschieden hat!

Nachdem José Carreras etwa drei Jahre lang bei Francisco Puig studiert hatte, spürte er, dass er etwas brauchte, was ihm Maestro Puig nicht geben konnte. In dieser Zeit lernte er Juan Ruax kennen, einen Mann mit einer schönen Tenorstimme, der jedoch nach einer Kinderlähmung an den Rollstuhl gefesselt war. Juan Ruax war von Beruf Zahntechniker und widmete sich der Ausbildung des jungen Tenors mit großem Einsatz. Er hatte einen untrüglichen Instinkt für die Stimme seines Schützlings und wusste genau, was dieser gerade brauchte. José Carreras über seinen Lehrer Juan Ruax:

„Das Faszinierende an dem Unterricht bei ihm war, dass er mehr mit mir über das Singen sprach, als dass er mit mir das Singen übte. Es war auch so, dass er weniger versuchte, mir beizubringen, wie man singen muss, sondern wesentlich mehr darüber sprach, wie man es   n i c h t   tun soll. Er war immer bemüht, meinen natürlichen Instinkt für das Singen und mein Talent weiterzuentwickeln. Natürlich korrigierte er mich, wenn ich etwas falsch machte. Aber die Hauptsache war: Es gibt kaum Grundregeln beim Singen, die man auf jeden Menschen anwenden kann. Was für den einen gut ist, muss es noch lange nicht für den anderen sein. Es gibt kein todsicheres System, denn gäbe es eines, existierten viel mehr erstklassige Sänger. Jede Kehle ist anders, jedes Talent auch, die Intelligenz funktioniert beim Singen unterschiedlich. Und Maestro Ruax hatte eben ein untrügliches Gespür für mich. Er wusste einfach instinktiv, wo er ansetzen musste, ohne das, was von mir selbst kam, zu gefährden. Sein Grundsatz lautete: Folge dem, was deine Intuition dir sagt, und opfere niemals einen Ausdruck, einen Akzent oder eine Note der Technik. Er war das klassische Gegenbeispiel zu jenen sturen Gesangslehrern, die ihren Schützlingen eine bestimmte Methode aufzwingen.“ (José Carreras, Singen mit der Seele, © 1989 by Kindler Verlag GmbH, München, Seite 93-94.)    

Debüt als erwachsener Sänger im Liceu

Im Frühjahr 1969 ging José Carreras – ermuntert durch seinen Lehrer Juan Ruax – zu einem Vorsingen ins Teatre del Liceu in Barcelona. Der damalige Direktor Juan Antonio Pamias war von seinem Vortrag so angetan, dass er ihm gleich die Rolle des Flavio in Bellinis Norma anbot. Die Premiere im Januar 1970 – an der Seite der großen Sopranistin Montserrat Caballé – wurde nicht nur für die Stars der Aufführung, sondern auch für José Carreras zu einem großen Erfolg. Montserrat Caballé war von der Stimme des jungen Tenors so begeistert, dass sie ihn fortan förderte. So sang José Carreras noch im selben Jahr seine erste Hauptrolle im Teatro del Liceu: den Gennaro in Donizettis Lucrezia Borgia. Die Premiere von Lucrezia Borgia im Dezember 1970 betrachtet Carreras als sein eigentliches Debüt. Wenig später erhielt der junge José Carreras auch die Tenorrolle in der neuen Produktion von Verdis Nabucco.

Regisseur de Giuseppe Tomasi war es auch, der den jungen Tenor animierte, am Verdi-Gesangswettbewerb in Parma teilzunehmen, den Carreras im Oktober 1971 gewann. Anlässlich des Wettbewerbs in Parma traf José Carreras zum ersten Mal mit seinem großen Vorbild Guiseppe di Stefano – genannt Pippo – zusammen. „Wie alle anderen, war auch ich sehr aufgeregt und zitterte wie ein Pudding, als der große Pippo vor mir stand“, erinnert sich Carreras an diese Begegnung.

Carlos Caballé, der Bruder und Manager von Montserrat Caballé, dem José Carreras bereits während seines Studiums begegnet war, wurde schließlich auch Carreras’ Manager und Impresario.

Auf den Opernbühnen der Welt

Von da an war die steile Karriere des jungen Carreras nicht mehr aufzuhalten. Engagements an allen großen Opernhäusern folgten: Von der New York City Opera in New York ging es im Januar 1974 nach Wien, wo ihm während einer Aufführung von Rigoletto ein Malheur passierte: Ausgerechnet am Ende von „La donna è mobile“ – jener Arie, die er zuvor tausendmal gesungen hatte – blieb ihm die Stimme weg. Obwohl Carreras wegen dieses peinlichen Zwischenfalls für mehrere Jahre einen großen Bogen um Wien machte, hatte ihn das Wiener Publikum – trotz oder gerade wegen dieses Missgeschicks – gleich ins Herz geschlossen.

Von Wien aus führte der Weg des jungen Sängers über London, Wien, München und New York nach Mailand – dem „Mekka“ für Opernsänger. In Mailand traf Carreras erneut mit seinem Vorbild Giuseppe di Stefano zusammen. Während der Proben zur Premiere von „Un ballo in maschera“ kam es damals zu einer lustigen Begebenheit: Weil das Kostüm für den schlanken José Carreras zu groß war, verehrte ihm der große „Pippo“ sein Ballo-Kostüm – eine Anekdote, die sich in Mailand schnell herumsprach.

Das Scala-Debüt im Februar 1975 wurde für Carreras zu einem triumphalen Erfolg. Kurz darauf wurde auch der große Herbert von Karajan auf den jungen Sänger aufmerksam, der ihn im April 1976 für Verdis Messa da Requiem im Rahmen der Salzburger Osterfestspiele engagierte. Noch im selben Jahr vertraute ihm Herbert von Karajan für die Salzburger Festspiele die Titelpartie in Verdis Don Carlos an. Die Zusammenarbeit mit Herbert von Karajan und die Salzburger Festspiele waren für José Carreras, wie er selbst einmal in einem Interview sagte, der absolute Höhepunkt seiner Karriere. Weitere große Projekte mit Herbert von Karajan folgten: La Bohème an der Wiener Staatsoper (1977), Aida (Salzburger Festspiele 1979 und 1980), Don Carlos (Salzburger Festspiele 1977 und 1978, Wiener Staatsoper 1979 und 1980, Osterfestspiele 1986). Ein weiterer Höhepunkt in der Zusammenarbeit mit Karajan war die Carmen (Salzburger Festspiele 1985) – mit jenem legendären hohen b im pianissimo am Ende der Blumen-Arie, das in seiner poesievollen Gestaltung bis heute einzigartig geblieben ist. Es ist diese unvergleichliche Piano- und Legato-Kultur, mit der José Carreras Maßstäbe gesetzt hat und seine Fans auf der ganzen Welt immer wieder begeistert.

Auch für Liederabende kehrte José Carreras immer wieder gern nach Salzburg zurück, so zum Beispiel 1981, 1989, 2002, 2012 und zuletzt im Dezember 2017. Seine Recitals im Großen Festspielhaus haben ebenfalls Maßstäbe gesetzt.

Im Laufe seiner Karriere hat José Carreras mit allen namhaften Dirigenten zusammengearbeitet, darunter Carlo Maria Giulini, Claudio Abbado, Riccardo Muti – um nur einige zu nennen. Unter der Leitung von Leonard Bernstein persönlich entstand auch die berühmte Einspielung des Musicals Westside Story.

Die Leukämie-Erkrankung

Das Jahr 1987 sollte für José Carreras zu einem schweren Schicksalsjahr werden. Noch im Frühjahr 1987 war der Tenor an der Mailänder Scala als Canio in der Oper I Pagliacci erfolgreich aufgetreten – ohne zu wissen, dass dies vorläufig sein letzter Opernauftritt sein sollte. Anfang Juli hatte Carreras seine Schallplattenaufnahme der Misa criolla unter der Leitung des Komponisten Ariel Ramirez eingespielt. Am 5. Juli fand – ohne dass er es ahnen konnte – sein vorläufig letztes Konzert in Oviedo statt. Bereits am nächsten Morgen begannen in Paris die Dreharbeiten zu einem Bohème-Film mit dem italienischen Regisseur Luigi Comencini, mit Carreras als Rudolfo. Während der Dreharbeiten machte José Carreras eine Zahnentzündung zu schaffen. Trotz der Antibiotika, die er dagegen einnahm, fühlte er sich von Tag zu Tag schlechter. Nach einem Check-up im Amerikanischen Hospital von Paris erhielt er schließlich die niederschmetternde Diagnose erhielt: Leukämie. Es folgte eine monatelange Behandlung mit Chemotherapie, Strahlenbehandlung und allen erdenklichen Nebenwirkungen.

Um nahe bei der Familie zu sein, unterzog sich Carreras der Behandlung zunächst in Barcelona. Im Herbst 1987 begab er sich zur weiteren Behandlung nach Seattle ins Fred Hutchinson Cancer Research Center. Da kein geeigneter Knochenmarkspender gefunden wurde, konnte nur eine autologe Knochenmarktransplantation (vom eigenen Knochenmark) das Leben des Sängers retten. Diese wurde – nach einer erneuten quälenden Phase mit Knochenmarkentnahme, Chemotherapie und Bestrahlung – im November 1987 vorgenommen. Doch bei aller Tragik gibt es auch eine kuriose Anekdote aus der Zeit in Seattle, die Carreras in seiner Autobiographie festgehalten hat:

„Da es in dem Raum keine Uhr gab, auf der ich die dahinkriechenden Minuten hätte verfolgen können, half ich mir mit der Oper. Leise summend oder manchmal sogar nur in Gedanken repetierte ich Arien – von La Bohème bis Aida, von Turandot bis La Gioconda. Schließlich weiß jeder Tenor auswendig, wie viele Minuten „Che gelida manina“, „Celeste Aida“, „Nessun dorma“ oder „Cielo e mar“ dauern. Nun, diese Zeiten zählte ich zusammen und wusste relativ genau, dass die Bestrahlungszeit nach der nächsten Arie vorbei sein musste. Manchmal holten mich die Krankenschwestern schon ab, während ich noch mitten im „Singen“ war. Da sie mir nicht eine Sekunde schenkten, muss mich in diesen Fällen wohl ein in breite Tempi verliebter Dirigent begleitet haben…“ (José Carreras, Singen mit der Seele, © 1989 by Kindler Verlag GmbH, München, Seite 41-42.)   

Die Nachricht von Carreras’ Leukämie-Erkrankung löste bei Fans in aller Welt – einschließlich meiner Person – eine wahre Schockstarre aus. Überwältigend war die Anteilnahme, die dem Sänger entgegengebracht wurde. Aus allen Teilen der Welt erhielt er Genesungswünsche. Schon während dieser Zeit in Seattle reifte in ihm der Plan, eine Stiftung für Leukämiekranke zu gründen. Und eines wusste er ganz sicher: Er wollte nicht nur wieder gesund werden, sondern auch wieder singen! Im Februar 1988 wurde Carreras aus dem Krankenhaus in Seattle entlassen und durfte endlich in seine Heimatstadt Barcelona zurückkehren. Am Flughafen von Barcelona wurde er von seinen Landsleuten begeistert empfangen. Mit der Rückkehr in seine Heimat begann für den Sänger ein neues Leben.

Sylvia Kreye, Wien

Morgen geht’s weiter mit Teil 2: 1988 – 2017

Tipps für Musikfreunde & Carreras-Fans

Hier noch ein paar Tipps für Carreras-Fans: Die aktuelle CD zur Abschiedstournee „A Live in Music“ ist im Handel oder über Shop24Direct zu beziehen:

https://www.shop24direct.at/produkt/a-life-in-music-118028

Es gibt dort nur noch 3 Exemplare – also rasch zugreifen!

Die neue Biographie von José Carreras, entstanden in Zusammenarbeit mit Màrius Carol und erschienen 2011 im Siedler Verlag, trägt den Titel „Aus vollem Herzen“ und ist ebenfalls über Shop24Direct erhältlich:

https://www.shop24direct.at/produkt/sku/1487118

Weitere CDs und DVDs von José Carreras sind unter folgendem Link zu finden:

https://www.shop24direct.at/catalogsearch/result/?filter=&q=Jos%C3%A9+Carreras

Hier geht’s zum zweiten Teil des Artikels zum 60-jährigen Bühnenjubiläum von José Carreras:

José Carreras: 60-jähriges Bühnenjubiläum | Teil 2: 1988-2017

Über das Konzert im Wiener Konzerthaus am 22. März 2017 wurde auf Lingua & Musica bereits ausführlich berichtet:

https://linguamusica.eu/a-life-in-music-jose-carreras-im-wiener-konzerthaus/

Ein weiterer Artikel über José Carreras – mit persönlichen Erinnerungen und Begegnungen – ist bereits anlässlich seines 70. Geburtstages am 5. Dezember 2016 auf Lingua & Musica (Musikalischer Adventskalender vom 5. Dezember) erschienen:

https://linguamusica.eu/der-musikalische-adventskalender-5-dezember-2016/

Quellen & Literatur